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Potenzial-Analysen: Steigerung von Validität und Objektivität durch Spezialisierung?

potenzialanalyse

Potenzial-Analysen dehen und strecken sich mitunter in alle Richtungen, um eine Vielzahl an Zielgruppen und Situationen abzudecken. Wie sieht es mit Spezialisierung aus? Gibt es einen Trend zur Spezialisierung und steigert Spezialiseriung die Validität und Objektivität von Potenzial-Analysen?

Ein Experte-Interview mit Branchen-Vertretern:

Sehen Sie einen steigenden Trend zur Spezialisierung von Testverfahren und Potenzial-Analysen? Worin sehen Sie die Gründe dafür?

Mag. Alfred Lackner (LACKNER & KABAS): Der Markt im Bereich der Personal- und Managementdiagnostik ist hart umkämpft. Etablierte Anbieter verteidigen die Position, immer neue Anbieter drängen mit „neuen“ Verfahren in den Markt rein. Die Frohebotschaften überschlagen sich und gehen oft in die Richtung: „das Testverfahren/ die Potenzialanalyse löst „alle“ Probleme“. Auf Nachfrage wie das denn möglich sei, werden sehr oft Spezialisierungen bzw. spezielle Normierungen der Verfahren als Argumente genannt. Da Unternehmen diese Frohebotschaften gerne hören und oft auch glauben, werden sie seitens der Anbieter immer lauter getrommelt. Zusammengefasst heißt das, ja ich nehme die obene angesprochene Tendenz wahr. Meine Meinung dazu: nein ich finde das gesamt gesehen keine gute Entwicklung. Selbstverständlich kann eine an die Zielgruppe angepasste Version eines Testverfahrens bzw. einer Potenzialanalyse die Diagnostik unterstützen/ erleichtern. Die Hausaufgaben die davor anstehen sind ein genau Definition der relevanten Anforderungen und die Anwendung einer multimethodale Diagnostik. Diese setzt verschiedene Instrumente ein und geht einmal davon aus, dass ein Testverfahren oder eine Potenzialanalyse einfach nur ein Selbstbild einer Person darstellt. Dieses Selbstbild kann die Person, wie sie wirklich ist, gut beschreiben. Es kann aber auch ganz weit weg davon liegen. Ein Selbstbild ist für sich genommen nicht in der Lage zu beschreiben wie eine Person „wirklich ist“.

Mag. (FH) Michaela Kreitmayer (Hernstein Institut): Aufgrund der gestiegenen Anzahl an Tools am Markt, ist eine Spezialisierung unbedingt notwendig geworden. Was früher oftmals nur für Führungskräfte gemacht wurde, wird mittlerweile Mitarbeitern auf allen Ebenen und quer über alle Funktionen angeboten.

Jens Neumann MTD (Hartig & Partners): Das ist tatsächlich so. Gute Potentialanalyse-Instrumente evaluieren nicht nach dem Gießkannenprinzip sondern nehmen vor allem auf Mitarbeiter-Hierarchien Rücksicht. Das erhöht die Aussagekraft und die Validität. Es macht wenig Sinn über Busfahrer, Ärzte, Controller und Verkaufsleiter dieselbe Schablone zu legen. Unternehmen wollen erfolgreich sein und möglichst kosteneffizient agieren– dafür braucht es intelligente Unterschiede bei den Auswahl- und Evaluierungsinstrumenten, damit fundierte Entscheidungen getroffen werden können.

Dr. Elvira Hauska (Hauska KonfliktManagement): Ja, diesen Trend nehme vor allem bei öffentlichen und großen Unternehmen, weil Entscheidungen immer öfter hinterfragt werden. Daher benötigen Entscheidungsträger eine möglichst gute ‚Rechtfertigung‘ für ihr Vorgehen.

Wann macht eine Spezialisierung eines Testverfahrens oder einer Potenzialanalyse für ein Unternehmen Sinn?

Mag. Alfred Lackner (LACKNER & KABAS): Unternehmen beschreiben die eigene Kultur und die eigene Ausrichtung immer öfter in Unternehmsleitbildern, Führungsgrundsätzen, Anforderungsprofilen, manchmal auch in Kompetenzmodellen. Das dient dazu, eine gemeinsame Sprache und einen gemeinsamen Blick auf die Kultur bzw. die „weichen“ Faktoren zu ermöglichen. Für solche Unternehmen macht es auch Sinn, dass für relevante Zielgruppen (meist handelt es sich um Führungskräfte oder andere homogene größere Personengruppen im Unternehmen) maßgeschneiderte Testverfahren und Potenzialanalysen entwickelt werden. Die Verfahren folgen dann derselben Logik und verwenden dasselbe Wording wie die internen Guidlines. Das Unternehmen ist dann nicht mehr angewiesen sich der Logik und Sprache des vorgefertigten Verfahrens anzupassen, sondern das Verfahren spricht dann „die Sprache“ des Unternehmens. Spezialisierung meint hier „maßgeschneiderte“ Verfahren. Dies ist ein neue Entwicklung und aus Erfahrung kann ich sagen, dass Kunden das (bei vertretbarem Aufwand) sehr gerne annehmen.

Wie erklärt sich die Behauptung „Durch eine Erhöhung der Spezialisierung von Testverfahren / Potenzial-Analysen nach Zielgruppen, steigt auch die Validität und Objektivität.“

Dr. Elvira Hauska (Hauska KonfliktManagement): Aus meiner Sicht braucht es beides – Spezialisierung und Grundlagen. Vor allem ist es notwendig, Controlling Schleifen unter Verwendung relevanter Indikatoren einzubinden, ob das eingesetzte Instrument auch den notwendigen Nutzen erbringt. Ein Spezial-Test, der in seiner Gruppe höchst valide und objektiv getestet wurde, kann in einem anderen sozialen Umfeld wieder eine ganz andere Wirkung erzielen als in der ‚Testumgebung‘.

Petra Schulte (USP-D Consulting): Vergleichsgruppen und Vergleichswerte sind die Geheimnisse der Validität und Objektivität. Will ein HR Manager bei den bereits im Unternehmen vorhandenen Zielgruppen mit der Potenzial-Analyse Mitarbeiterbindung und Kulturentwicklung bewirken, werden Analyse-Verfahren eingesetzt, die auf die Unternehmenswerte und hauseigenen Leistungskriterien ausgerichtet sind. Hier punktet die Identifikation mit dem Unternehmen.
Doch in der Mitarbeitergewinnung und –bindung zählt heute auch die Vergleichbarkeit mit anderen Unternehmen, so dass die Verfahren häufig auch am Markt und an Trends orientiert sind. Die Spezialisierung von Testverfahren verspricht Treffsicherheit, Zielgenauigkeit und Effizienz. Anbieter überzeugen mit internationalen Querschnittgruppen, hohen Vergleichszahlen und komplexen Algorithmen. Ausbildungsrichtungen, Karrierewege werden ähnlich wie Arbeitsplätze in Konzernen immer vergleichbarer. Treffen sich Vertriebsführungskräfte unterschiedlicher Industrien, kommen sie leicht zu der Verallgemeinerung, Verkäufer seien alle gleich. Sie mögen die Personen schließlich wieder differenzieren und in ihrer Individualität wahrnehmen, doch Vertriebsprozesse, Distributionskanäle, Key Account Management und viele weitere Facetten des großen Feldes Vertrieb unterliegen längst vergleichbaren Kriterien. Wieso also nicht auch Potenzial-Analysen auf Basis von vergleichbaren Kriterien entwickeln, die spezifische Informationen vor diesem Hintergrund errechnen lassen? Effizienz, nämlich Zeitsensibilität, Risikoaversität angesichts von kostspieligen Fehlentscheidungen und der Ressourcenengpass im eigenen Haus und draußen im Markt diktieren den Schritt zur vermeintlichen Effektivität durch den Vergleich innerhalb der spezifischen Masse. Die Test- und Analyse-Anbieter sind spezialisiert auf die Massenrecherche und die Marktbreite. Was erst breit eingesetzt ist, führt leicht zu weiterer Akzeptanz und Breite.

Mag. (FH) Michaela Kreitmayer (Hernstein Institut): Die inhaltliche Validität eines Verfahrens steigt durch Spezialisierung auf bestimmte Zielgruppen. Dadurch können die für die Eignung relevanten Merkmale speziell für diese Gruppe ausgewählt und somit kann das Konstrukt valider erfasst werden. Eine Steigerung der inhaltlichen Validität setzt voraus, dass das Verfahren speziell für die Zielgruppe entwickelt wurde. Die prognostische Validität steigt, da die Spezialisierung auf Zielgruppen mit entsprechender Normierung auch die Anforderungsprofile „schärft“. Wenn ich bei einem fiktiven Eignungstest für Profisportler nur eine Normierung für alle Sportarten habe, wird die prognostische Validität auf den späteren Erfolg als Radfahrer oder Fußballer geringer sein, als wenn ich für beide Gruppen passende Vergleichsstichproben oder Anforderungsprofile habe.
Die Auswirkung auf die Objektivität ist bei standardisierten computergestützten Verfahren vor allem durch die Steigerung der Interpretationsobjektivität gegeben. Der Vergleich anhand von relevanten Merkmalen mit einer passenden Vergleichsgruppe/Normierungsstichprobe bzw. einem sehr trennscharfen Anforderungsprofil schränkt den Interpretationsspielraum in der Auswertung ein. Der Interpretationsrahmen wird also auf wenig relevante Merkmale und eine spezielle Referenzpopulation begrenzt. Somit verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass unterschiedliche Auswerter oder Auswerterinnen zu unterschiedlichen Interpretationen kommen.

Mag. Kathrin Sturm (ITO Individuum Team Organisation): Den diversen Positionen in Unternehmen sowie auch den Berufsgruppen liegen unterschiedliche Anforderungsprofile (Kompetenzanforderungen, Persönlichkeits-, Motivations- und Interessensprofile etc.) zu Grunde. Daher ist es sinnvoll, jede Position und deren relevanten Kernkompetenzen individuell zu betrachten, um eine spezifische Aussage über das Potenzial einer Person in einer bestimmten Position/Berufsgruppe treffen zu können. Dadurch wird ebenso die Individualität hervorgehoben und unterstützt. Werden Potenzial-Analysen zielgruppenspezifisch durchgeführt, ermöglicht dies bei Testverfahren die Berechnung der Normalverteilung, d.h. jene Werte (Normgrößen), die eine entsprechende Gruppe repräsentieren. Die Validität und Objektivität wird dadurch erhöht, dass ausschließlich homogene Gruppen gebildet und miteinander verglichen werden.

Wie hoch schätzen Sie den Einfluss der Gütekriterien bei der Auswahl eines Anbieters ein?

Mag. Bernhard Dworak (Master Human Resources Consulting): Tatsache ist, Sie treffen eine grundlegende Entscheidung für die Zukunft. Schauen Sie sich Ihren bevorzugten Anbieter und dessen Produkte genau an!
Die wissenschaftliche Basis ist meiner Meinung nach Voraussetzung für eine fundierte Entscheidung – sie ist aber aufwendig zu hinterfragen. Mit welcher „Normgruppe“ wird die Person verglichen, und wie groß ist das Sample, wie entspricht dieses der beruflichen Population. Wer beurteilt Validität und Reliabilität und sind die angebotenen Systeme von anerkannten Institutionen geprüft worden (wie z.B. der British Psychology Society, European Federation of Psychologists Associations, American Psychological Association oder vergleichbare). Der Einfluss dieser Gütekriterien wird in Zukunft immer wichtiger.

Kann ich mit einer Potenzialanalyse mit hoher Validität und Objektivität vorhersagen, wie sich ein Mitarbeiter in der Zukunft entwickeln wird?

Mag. Bernhard Dworak (Master Human Resources Consulting): Nein. Potenzialanalysen treffen niemals eine Aussage, über die Zukunft. Wer hätte dem jungen Steve Jobs zugetraut, wozu er im Laufe seines Lebens fähig war? Potenzialanalysen zeigen Entwicklungspotenziale auf und Potenzialanalysen machen Unsichtbares sichtbar. Sie zeigen somit Potenziale auf, die entwickelt werden können. Allerdings ist es nur mit der ausreichenden Passung von Können – Wollen – Dürfen auch möglich, Potenziale auszuschöpfen. Wenn Sie erwarten, dass Sie „Potenziale“ einkaufen und alles andere erledigt sich von selbst, muss ich Sie enttäuschen.

Blended Assessment, e-Learning und Online-Analysen: Wann empfehlen Sie Potenzial-Analysen im Selbstcheck als Vorbereitung für Bewerbungen, Mitarbeitergespräche und Coaching?

Petra Schulte (USP-D Consulting): Wer sich für ein Studium oder ein Bewerber-Assessment vorbereitet, weiß, dass sich fast alles für die Testsituation aneignen und lernen lässt. Ob für einen GMAT, TOEFL oder für andere Prüfungen, allein die Auseinandersetzung mit Testverfahren ermöglicht ein schnelles Verstehen und Verwenden von Testinstrumenten und lässt neue neuronale Synapsen wachsen. Der mit Intelligenztests gemessene Intelligenzquotient eines Menschen wächst durch die Anwendung und Übung von Intelligenztests. Er wächst jedoch auch für den Alltag, denn durch das Verstehen von Zusammenhängen wird das Erfassen derselben geschult. Dahingehend ist die Auseinandersetzung mit theoretischen Konstrukten und ihrer praktischen Anwendung für jeden Menschen relevant und hilfreich. Selbst-Evaluierungsmethoden als Einstieg vor neuen Aufgaben und Funktionen können die persönliche Auseinandersetzung erleichtern, wenn sie im Gespräch vertrauensvoll und entwicklungsorientiert begleitet werden. Ob im Mitarbeitergespräch mit dem Vorgesetzten oder im Gespräch mit einem Coach – Testverfahren können eine guten Vorbereitung bieten.

Wann ist der Einsatz von elektronischen Potenzial-Analysen dem Einsatz von persönlichen Assessments vorzuziehen? Und wann nicht?

Mag. Kathrin Sturm (ITO Individuum Team Organisation): Elektronische Testverfahren bieten einen klaren Vorteil, sie sind effizient, flexibel und unabhängig von Zeit und Ort. Diese eigenen sich dabei speziell für die unteren Hierarchieebnen, wo Unternehmen eine kostengünstige und zeitsparende Lösung suchen. Um die Objektivität und Validität eines Online-Tests zu steigern, wird die Kombination mit einer weiteren Informationsquelle (Interview, 360-Feedback, Assessment, etc.) empfohlen. Insbesondere bei Positionen mit größeren Verantwortungsbereichen ist daher ein Methodenmix geeignet, damit das individuelle Potenzial ganzheitlich erfasst wird.

 

Die Gesprächspartner

Potenzial-Analysen: Steigerung von Validität und Objektivität durch Spezialisierung? 

kreitmayer-michaela-hernstein-150Mag. (FH) Michaela Kreitmayer
Leitung Kundenberatung & Salesmanagement

Hernstein Institut für Management und Leadership


dworak_bernhard_150Mag. Bernhard Dworak
Geschäftsführer

Master Human Resources Consulting GmbH


schulte_petra_usp-d-150-verschwommenPetra Schulte
Geschäftsführende Gesellschafterin

USP-D Consulting GmbH


sturm_kathrin_ito-150 Mag. Kathrin Sturm
Consultant, Produktentwicklung

ITO Individuum Team Organisation GmbH


lackner_alfred_lacknerkabas-150Mag. Alfred Lackner
Geschäftsführer

LACKNER & KABAS Management Assessments Psychologie


hauska_elvira_150Dr. Elvira Hauska

Hauska KonfliktManagement


neumann_jens_hartigpartnersJens Neumann MTD

Hartig & Partners


 

Mag. Eva Selan, MSc | HR-Redakteurin aus Leidenschaft

Theoretischer Background: MSc in HRM & OE. Praktischer Background: HR in internationalen Konzernen und KMUs in Österreich und den USA.
Nach der Tätigkeit beim Print-Medium Magazin TRAiNiNG als Chefredakteurin, wechselte sie komplett in die Online-Welt und gründete Ende 2010 das HRweb.

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