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„Der erste Workshop löste Begeisterung aus, der zweite nicht!“ Eine Case Study über die Kassler Bank und ihren langen Weg den sie seit 2004 bzgl. Werte & Führungskräfte geht.

 

Im Zentrum unserer Vertriebsaktivitäten soll der Kunde als Mensch stehen. Also muss auch in unserer Organisation der Mensch im Mittelpunkt stehen. Das erkannte die Führungsmannschaft der Kasseler Bank in den zurückliegenden Jahren. Also gestaltete sie unter anderem die Organisationsstrukturen und Arbeitsbeziehungen um.

Irgendetwas läuft in unserem Haus nicht rund – dieses Gefühl hatte Anfang 2004 der Vorstand der Kasseler Bank. Zwar stimmten die Zahlen, trotzdem fand der Vorstand des zur Volks- und Raiffeisengruppe zählenden Geldinstituts: In unserer Organisation laufen die Räder noch nicht wie geschmiert. Insbesondere die kundennahen Bereiche könnten noch besser zusammenarbeiten, damit wir im Vertrieb noch mehr Power entfalten und unsere Mitarbeiter die Kunden noch individueller betreuen.

Also beauftragte der Vorstand der Bank das Münchener Trainings- und Beratungsunternehmen EQ Dynamics International, eine Trainingsmaßnahme durchzuführen. In den Trainings sollten die Vertriebsmitarbeiter lernen, in Kundengesprächen noch präziser zu ermitteln, was den Kunden wichtig ist – „um anschließend durch eine noch individuellere Beratung eine starke, auch emotionale Beziehung zu diesen aufzubauen“, erläutert EQ Dynamics-Geschäftsführer Markus Hornung.

Ab Herbst 2004 fanden die Trainings statt. In diesen befassten sich die Privat- und Firmenkundenbetreuer unter anderem mit den Fragen:

  • Welche Werte haben unsere Kunden?
  • Wie lassen sich bei ihnen folglich positive emotionale Reaktionen wie Zufriedenheit und Sympathie erzeugen? Und:
  • Wie können wir den Kontakt mit den Kunden idealerweise so gestalten, dass diese am Schluss zum Beispiel sagen: Günstigere Konditionen würden wir ab und zu vielleicht auch bei einer anderen Bank bekommen. Aber dafür betreut uns bei der Kasseler Bank Herr Müller. Der versteht uns und dem vertrauen wir! Das ist mehr wert!

Im Verlauf der Trainings entstand nebenbei „eine durchaus typische Veränderungsenergie in ganz anderer Richtung“, berichtet Hornung. Bei den Teilnehmern kamen immer wieder folgende Fragen auf: Wir befassen uns hier die ganze Zeit mit den Werten der Kunden. Doch sollten in diesen Prozess nicht auch unsere Führungskräfte involviert sein? Schließlich müssen sie uns im Alltag die erforderliche Unterstützung gewähren. Außerdem haben auch wir Mitarbeiter persönliche Werte. Sollten nicht auch diese im Gesamtprozess berücksichtigt werden?

Führungskräfte haben divergierende Wertesysteme

Diese Teilnehmer-Rückmeldung erreichte auch den Bereichsleiter Personal Hans-Joachim Schlüter, der das Trainingsprojekt mit EQ Dynamcis betreute. Er sprach mit dem Vorstand und dieser entschied Ende 2007: In zwei Workshops sollen sich die Führungskräfte mit den Themen „Werte und Emotionen“ sowie „Führung und Zusammenarbeit“ befassen. Der erste von EQ Dynamics geleitete Workshop löste Begeisterung aus, der zweite nicht. Denn dort zeigte sich: Die Führungskräfte der Kasseler Bank haben unterschiedliche Wertesysteme und Menschenbilder. Entsprechend verschieden ist ihr Führungsstil. Und wegen dieser unterschiedlichen Grundeinstellungen fällt es ihnen auch schwer zu kooperieren. Diese Erkenntnis war, laut Hans-Joachim Schlüter, für alle Beteiligten „ernüchternd und enttäuschend“. Auch weil ihnen unklar war: Wie geht es nun weiter? Sabine Grüner, Mitinhaberin von EQ Dynamics, bewertet diesen Moment der Ernüchterung und Ratlosigkeit „als wesentliche Energiequelle für den weiteren Prozess“. Und sie bestätigt: „Weitere Workshops mit der ganzen Gruppe hätten in dieser Situation wenig gebracht. Andere Interventionen waren nötig.“

Zum Ergebnis, die Teilbanken werden unterschiedlich geführt und dies führt zu Effizienzverlusten, war auch die Göttinger Unternehmensberatung bzp – Bierend, Zeller und Partner AG gekommen, als sie 2007 im Auftrag der Kasseler Bank mit Mitarbeitern der Marktbereiche Interviews durchführte. In ihnen zeigte sich laut bzp-Vorstand Walter Zeller zum Beispiel: Die Servicemitarbeiter leiten Potenzialkunden oft nicht an die Privatkundenbetreuer über. Umgekehrt ergibt sich immer wieder die Situation: Die Privatkundenbetreuer sehen, dass im Schalterraum die Kunden Schlange stehen. Doch sie unterstützen ihre Kollegen nicht.

Vorstand erzeugt den nötigen Veränderungsdruck

Aufgrund dieses Befunds und der Workshop-Ergebnisse stellte der Vorstand der Kasseler Bank die Leiter der beiden Teilbanken Joachim Wölm und Michel Reitz im Sommer 2008 vor die Alternative:

Entweder Sie schaffen es, dass Sie und Ihre Bereiche künftig stärker kooperieren oder wir müssen uns leider von zwei erfolgreichen Bereichsleitern trennen. Als Unterstützung beim Überwinden der wechselseitigen persönlichen Barrieren bot der Vorstand den beiden Teilbankleitern ein gemeinsames Coaching an. Zudem gab er ihnen für den Fall, dass sie sich zusammenraufen würden, das Okay, ihre Bereiche so zu gestalten, wie dies aus ihrer Sicht für eine optimale Zusammenarbeit nötig ist.

Die beiden Bereichsleiter akzeptierten die sehr klare und konsequente Entscheidung des Vorstandes. Sie erklärten sich zu einem Versuch bereit, eine neue Basis für ihre Zusammenarbeit zu finden. Durchaus mit gemischten Gefühlen, wie beide im Rückblick gestehen. Auch Gina Bode, die im bzp-Auftrag das Coaching durchführte, dachte: Die Erfolgswahrscheinlichkeit beträgt aufgrund der Vorgeschichte 5 %.

Doch es kam anders! Auf der gemeinsamen Fahrt zum Coaching an der Ostsee redeten die beiden Führungskräfte mehrere Stunden miteinander. Dabei zeigte sich für Reitz und Wölm: Wir haben aufgrund unserer Persönlichkeit und Biografie zwar unterschiedliche Arbeitsweisen, verfolgen aber dieselben Ziele. Kurz vor der Ankunft schlossen sie ein Agreement: Wir wollen das Coaching dafür nutzen, wechselseitig unsere Stärken und Schwächen zu akzeptieren und so zu kooperieren, dass wir uns optimal ergänzen.

Als Instrument, um den beiden Führungskräften ihre Verhaltensmuster und die sich dahinter verbergenden Einstellungen bewusst zu machen, nutzte Gina Bode das Pferdecoaching. Die Reaktion der Pferde auf ihr Verhalten diente Reitz und Wölm als Vehikel, um unter anderem folgende Fragen zu reflektieren:

  • Wie verhalten wir uns im Führungsalltag?
  • Welches Verhalten lösen wir hierdurch bei unseren Mitarbeitern aus?
  • Wie beeinflusst das unsere Wirkung? Und:
  • Inwieweit sollten wir unsere Einstellungen verändern, damit wir ein anderes Verhalten zeigen und (gemeinsam) mehr Wirkung erzielen?

Teilbankleiter raufen sich zusammen

Reitz und Wölm waren erstaunt, wie viel Parallelen sich bei ihrer Arbeit mit den Pferden zu ihrem Führungsalltag zeigten. Und in beiden reifte während der zwei Tage der Entschluss, ihre Einstellungen zu verändern. „Denn uns wurde klar“, betont Reitz, „wenn dies nicht geschieht, ist jede Verhaltensänderung wirkungslos – unter anderem, weil wir dann nicht authentisch sind.“ „Und auch jede organisatorische Veränderung wäre nicht von Erfolg gekrönt“, ergänzt Wölm, „weil wir nicht dahinter stünden.“

Zurück in Kassel entwarfen die beiden Führungskräfte unterstützt von Walter Zeller ein Konzept, wie ihre Bereiche künftig strukturiert sein sollten, damit diese besser kooperieren. Heraus kam: Die beiden Bereiche sollen spiegelbildlich organisiert, also gleich aufgebaut sein. Darüber hinaus sollen sie so verzahnt sein, dass Reitz und Wölm sich wechselseitig vertreten können – und ebenso sollen es die ihnen unterstellten Führungskräfte handhaben. Dieses Konzept stellten Reitz und Wölm dem Vorstand vor. Dessen Votum: Setzen Sie es um, wenn Sie denken, dass es zu den gewünschten Ergebnissen führt.

Im September 2008 präsentierten Reitz und Wölm das Konzept in einem Workshop den Mitarbeitern ihrer Bereiche. Zuvor schilderten sie diesen jedoch ihre persönliche Entwicklung. Um diese zu illustrieren, hatten sie zwei Fotoserien erstellt. Die eine illustrierte, welche Vorstellung die beiden Führungskräfte vor dem Coaching voneinander hatten. Ein Foto von Reitz zeigte Wölm sozusagen als Despoten, vor dem die Mitarbeiter kuschen. Umgekehrt war auf dem Foto von Wölm Reitz als Führungskraft abgelichtet, die ihre Mitarbeiter „bemuttert“.

Die zweite Fotoserie zeigte Reitz und Wölm auf einer Parkbank. Auf den ersten Fotos saßen die beiden an deren äußersten Enden und ihre Körpersprache signalisierte: Eigentlich möchte ich dem anderen nichts zu tun haben. Im weiteren Verlauf der Serie rückten Reitz und Wölm immer näher zusammen und wandten sich einander zu. Und auf dem letzten Foto saßen sie nebeneinander und sagten: „Lass’ uns darüber reden und es gemeinsam probieren.“

Gerade weil die beiden Teilbankleiter so persönlich und emotional über sich und ihre Entwicklung sprachen, gelang es ihnen laut Gina Bode, ihre Mitarbeiter für ihr Konzept zu gewinnen – „auch wenn manche“, wie Reitz und Wölm konstatieren „zu Beginn aufgrund der angekündigten Veränderungen durchaus gemischte Gefühle hatten“. Denn alle spürten: Die beiden meinen es ernst.

Neue Führungsteams in Teilbanken gebildet

Nach dem Workshop konnten sich die Mitarbeiter der beiden Teilbanken für die Führungspositionen in der neu strukturierten Organisation bewerben. Mit den Bewerbern beziehungsweise Kandidaten fuhren Reitz und Wölm zu zwei Pferdecoachings an die Ostsee. Dort reflektierten die Kandidaten ihre Einstellung zum Thema Führung und ihre Beziehung zu einander. Das Ziel war hierbei laut Bode: Die Führungsteams der beiden Teilbanken sollten so zusammengestellt werden, dass zwischen deren Mitgliedern „auch persönlich die Chemie stimmt. Denn dies erhöht die Wirkung eines Teams.“

Nachdem die vier „Führungsduos“ gebildet waren, begann die Arbeit in den neuen Strukturen – „oder treffender formuliert ‚Beziehungen’“, betont Hans-Joachim Schlüter. Anfangs war noch etwas Sand im Getriebe. Doch schnell zeigte sich: So entfalten die beiden Bereiche eine viel höhere Schlagkraft. Dabei war der zentrale Erfolgsfaktor laut Walter Zeller: „Herr Reitz und Herr Wölm hatten zueinander gefunden. Denn letztlich wurde die Organisation um sie herum gebaut.“ Zu Recht, wie Sabine Grüner von EQ Dynamics betont. „Denn die Struktur einer Organisation ist nur die Hülle, in der gelebt und gearbeitet wird. Und dieses Leben und Arbeiten gelingt am besten, wenn die Hülle zu den handelnden Personen passt.“

Zweite Führungsebene neu strukturiert

Da die Praxis zeigte, die neue Struktur funktioniert, erwog der Vorstand der Bank, die gesamte Organisation entsprechend umzugestalten. Um hierüber endgültig entscheiden zu können, wollte er jedoch zunächst wissen: Ist die zweite Führungsebene, also die Führungsebene unter dem Vorstand, hierfür richtig besetzt? Also beauftragte er bzp, das zu analysieren. Ein Ergebnis war: Über die Zusammensetzung der Führungsebene 2 sollte das Unternehmen aufgrund seiner Zielsetzung zumindest nachdenken – auch weil diese Ebene, so Zeller, insgesamt 15 Führungskräfte umfasste. „Ein so großer Personenkreis erschwert, unabhängig von der personellen Zusammensetzung, die Entwicklung eines schlagkräftigen Teams.“

Vor diesem Hintergrund entschied der Bank-Vorstand, im Februar 2009 in einem Workshop mit den aktuellen Mitgliedern der Ebene F2 zu ermitteln, wie die neue Führungsstruktur aussehen könne. Als Instrument hierzu wurde in dem von Walter Zeller geleiteten Workshop die Organisationsaufstellung genutzt. Nach der ersten Aufstellung am Ende des ersten Workshoptages hatten alle Teilnehmer das Gefühl: Hier stimmt etwas nicht; das spiegelt nicht die Beziehungen in unserer Organisation wider.

Hierüber sprach Zeller am Abend auch mit den Vorstandsmitgliedern Martin Schmitt, Volker Stern und Wolfgang Osse. Daraufhin stellten sich die drei am anderen Tag bei einer zweiten Organisationsaufstellung so auf, dass sichtbar wurde, in welcher Konstellation sich die anderen Führungskräfte nacheinander hinzu gesellen konnten. Als diese vollständig war, war für alle Anwesenden klar erkennbar: Die eigentliche Führungsebene 2 besteht nur aus acht Personen – zu denen auch die Herren Schlüter, Reiz und Wölm zählen.

Dieser Personenkreis fuhr mit dem Vorstand im Mai 2009 erneut mit dem Ziel Teambildung zu einem Pferdecoaching, bevor schließlich ab Juli 2009 das Arbeiten in der neuen Struktur begann. Diese beinhaltete auch, dass die Bereiche, die für eine effektive Marktbearbeitung notwendig sind – von der Vertriebsunterstützung bis zum KundenServiceCenter – sozusagen in Viagra ohne Rezepte in Apotheke einer Einheit zusammengefasst wurden, die Wölm und Reitz untersteht.

„Wertegespräche“ mit den Mitarbeitern eingeführt

Parallel zur geplanten Umstrukturierung wurde bei der Bank eine Mitarbeiterfragung zum Thema „Führung und Zusammenarbeit“ durchgeführt. Die Antworten signalisierten der Unternehmensführung: Die Mitarbeiter spüren bereits, dass sich das Führungsverhalten ihrer Vorgesetzten positiv verändert. Den Verantwortlichen war jedoch klar: Wenn wir nachhaltig etwas verändern möchten, dann müssen wir den Mitarbeitern noch stärker vermitteln, was uns bei unseren Aktivitäten treibt und von welchen Werten und Einstellungen wir uns hierbei leiten lassen.

Vor diesem Hintergrund entschied der Vorstand: Alle Führungskräfte sollen mit ihren Mitarbeitern sogenannte Wertegespräche führen. In diesen Gesprächen legen die Führungskräfte ihren Mitarbeitern zunächst dar, was ihre Werte sind und inwiefern diese ihr Handeln bestimmen. Und danach sprechen die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern darüber, was diesen wichtig ist, um hieraus schließlich Absprachen für die Zusammenarbeit abzuleiten. Die Führungskräfte sollen also beim Führen ihrer Mitarbeiter ihr Verhalten ebenso an deren Werten orientieren, wie sie es von ihren (Vertriebs-)Mitarbeitern im Kundenkontakt erwarten.

Seit Oktober 2009 führt EQ Dynamics bei der Kasseler Bank die Trainings durch, in denen die Führungskräfte üben, Wertegespräche zu führen. Diese Gespräche sollen die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern nach der ersten Gesprächsrunde anlassbezogen immer wieder führen – zum Beispiel, wenn sich deren Lebenssituation ändert.

Mit dem Einführen der Wertegespräche wird laut Hans-Joachim Schlüter, dem Bereichsleiter Personal, ein Prozess abgerundet, der vor sechs Jahren mit den Trainings der Vertriebsmitarbeiter zum Thema Werte und Emotionen begann – ein Prozess, in dessen Verlauf den Verantwortlichen bei der Kasseler Bank zunehmend deutlich wurde: Wenn wir in Zusammenhang mit dem Verkauf von Werteorientierung sprechen, dann müssen auch wir als Führungskräfte uns mit den Fragen befassen, welche Einstellungen wir haben und was uns und unseren Mitarbeitern in der Zusammenarbeit wichtig ist. Da diese Erkenntnis erst im Verlauf des Prozesses reifte, war der Gesamtprozess nicht detailliert geplant. Vielmehr wurde jeweils aufgrund der aktuellen Situation neu entschieden: Was ist der nächste Schritt und welche Intervention wäre nun sinnvoll: Training, Coaching oder eine Organisationsentwicklungsmaßnahme? Eine weitere wichtige Erkenntnis im Prozessverlauf war: Wenn wir betonen, dass der Mensch mit seinen Werten und Einstellungen im Mittelpunkt unseres Tuns steht, dann sollte auch die Organisation um die Menschen herum gestaltet werden. Denn nur dann wird die Organisation zu einem lebenden Organismus.

Gastautor: Bernhard Kuntz, berät und unterstützt Bildungs- und Beratungsanbieter in PR- und Marketingfragen. Fachbücher: »Die Katze im Sack verkaufen« und »Warum kennt den jeder?« www.bildungkommunikation.de

 

 

 

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