Mit unserer aktuellen Vertriebsstruktur erreichen wir unsere Ziele nicht. Das erkannte ein Fenster- und Türenhersteller vor zwei Jahren. Also gestaltete er seinen Vertrieb um. Dabei lautete seine oberste Maxime: In der neuen Struktur muss sich unsere Kundenstruktur widerspiegeln und sie muss den Bedürfnissen unserer Kunden entsprechen.
Die Länge dieses Beitrages übersteigt die Lesefreundlichkeit in einem Online-Medium ein wenig. Dennoch möchten wir Ihnen diese spannende Case Study nicht vorenthalten und haben das Erscheinungsdatum in die Weihnachtsfeiertage gelegt, um die etwas ausgedehnte Zeit zum schmökern aufzugreifen.
„Mit der Organisationsstruktur von Unternehmen verhält es sich wie mit Kleidungsstücken“, sagt Christian Herlan (Geschäftsführer der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal). „Wächst die Person, der die Hose oder der Rock gehört, dann kann sie diese meist noch einige Zeit tragen – notfalls mit gewissen Anpassungen.“ Doch irgendwann platzt das Kleidungsstück aus allen Nähten. „Und dann wird es Zeit“, betont Herlan, „sich ein neues zuzulegen.“
In einer solchen Situation befand sich die Apex GmbH* vor zwei Jahren. Über Jahre hinweg war die deutsche Vertriebstochter eines Schweizer Fenster- und Türenherstellers gewachsen. Und immer wieder hatte sie ihre Prozesse im Rahmen der bestehenden Struktur optimiert. Doch dann zeigte sich laut Apex-Geschäftsführer Kai Wiesner immer deutlicher: „Unsere aktuelle Struktur zwickt und zwackt zunehmend an allen Ecken und Enden. Also brauchen wir eine neue, wenn wir unsere Wachstumsziele realisieren und besser als unsere Mitbewerber sein möchten.“
Gewachsene Struktur stößt an ihre Grenzen
Kai Wiesner nennt ein Beispiel dafür, wo bei der alten Organisationsstruktur Änderungsbedarf bestand:
- Bis Ende 2009 waren die Außendienstmitarbeiter von Apex jeweils für bestimmte Postleitzahlenbereiche zuständig. In ihrem Gebiet betreuten sie alle Kunden – unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um kleine Handwerksbetriebe, große Bauträger, kleine Fachhändler oder große Handelsketten handelte. Entsprechend war der Innendienst strukturiert. Dies führte bei überregional tätigen Kunden oft dazu, dass diese mehrere Ansprechpartner bei Apex hatten. Und hieraus erwuchsen Folgeprobleme. So mussten zum Beispiel Großkunden mit einem Zentraleinkauf oft mehrere Aufträge an Apex-Mitarbeiter senden, wenn sie für ihre Baustellen oder Geschäfte Fenster oder Türen bestellen wollten. „Kundenorientiert war dies nicht.“
- Ein weiteres Manko der alten Struktur nennt Klaus Fratschner (Verkaufsleiter bei Apex). Da die Verkäufer im Innendienst auch für das Tagesgeschäft zuständig waren, trafen bei ihnen auch stapelweise Bestellungen per Fax, Mail und Telefon ein, die sie bearbeiten mussten – darunter viele Kleinaufträge. Deshalb war ihre Arbeitsbelastung sehr hoch. Außerdem schlichen sich in die Auftragsbearbeitung immer wieder Fehler ein – auch weil die Mitarbeiter zuweilen parallel Aufträge bearbeiteten und mit Kunden telefonierten.
- Ein zusätzliches Manko: Die Aufträge wurden häufig nicht nach ihrer Wichtigkeit und Dringlichkeit bearbeitet, sondern in der Reihenfolge, in der sie auf den Schreibtischen landeten.
Kundengruppen und -bedürfnisse analysiert
Vor diesem Hintergrund beschloss die Unternehmensführung von Apex im Frühjahr 2009, die bestehende Organisationsstruktur auf den Prüfstand zu stellen und den Markterfordernissen anzupassen. Als Unterstützer für diesen Prozess engagierte Apex die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner – „unter anderem weil uns wichtig war, dass auch Dinge hinterfragt werden, die uns selbstverständlich erscheinen“, erläutert Geschäftsführer Wiesner.
Die einzelnen Schritte:
Zunächst wurde ein Projektteam gegründet. Diesem gehörten neben Verkaufsleiter Fratschner Vertreter des Innen- und Außendienstes an. Im Mai 2009 traf sich das Team erstmals zu einem Workshop.
In dem von Christian Herlan moderierten Workshop analysierte das Projektteam die aktuellen kundenrelevanten Prozesse und visualisierte diese – „um leichter erkennen zu können, wo Schwachstellen und Zeitfresser liegen“, erklärt Fratschner. Zudem analysierte das Team:
- Welche Kundengruppen hat Apex?
- Welche speziellen Wünsche haben diese? Denn die Bedürfnisse der Apex-Kunden sind, sieht man von den gemeinsamen produktbezogenen Basisanforderungen ab, durchaus verschieden.
Kai Wiesner erläutert diese unterschiedlichen Anforderungen an einem Beispiel:
- „Nehmen Sie die kleinen Handwerksbetriebe. Bei denen ist oft nur morgens früh jemand im Büro und in der Werkstatt. Danach sind alle Leute auf der Baustelle. Also wollen sie, dass die Ware in den frühen Morgenstunden angeliefert wird und sie in diesem Zeitraum ihre Bestellungen problemlos aufgeben können – und zwar so, dass sie sich nicht mehr darum kümmern müssen.“
- Anders ist dies bei großen Bauunternehmen, die zum Beispiel bundesweit Industriebauten, Krankenhäuser oder Verwaltungsgebäude errichten. Bei ihnen sind die für den Einkauf zuständigen Mitarbeiter in der Regel von morgens bis abends im Büro und in diesem Zeitraum telefonieren sie zuweilen mehrfach mit Apex. Bei diesen Telefonaten wollen sie feste Ansprechpersonen haben, die ihr Unternehmen und dessen speziellen Bedarf kennen; des Weiteren alle im Verlauf der Geschäftsbeziehung bereits getroffenen Absprachen. „Denn sonst müssen sie ähnlich wie bei den Callcentern vieler Telefonanbieter bei jedem Kontakt alles wieder neu erklären, was jeden Kunden nervt“, erklärt Christian Herlan.
Mehrere „Pläne“ für neue Struktur entwickelt
Nachdem die Prozesse und die Kundenbedürfnisse erfasst waren, formulierte das Projektteam erste Thesen, wie die Abläufe effizienter und kundenorientierter gestaltet werden könnten. Um diese zu überprüfen, wurden mehrere Innendienstmitarbeiter gebeten, einige Tage all ihre Tätigkeiten zu protokollieren – nebst der Zeit, die sie hierfür brauchen. Außerdem wurden Einzelinterviews mit Vertriebsmitarbeitern geführt, um noch genauer zu ermitteln, wo es im Arbeitsalltag oft klemmt.
Nachdem diese Infos vorlagen, entwarf das Projektteam mehrere Vorschläge, wie die Geschäftsprozesse bei Apex künftig gestaltet sein könnten. Vier Szenarien wurden entwickelt, denen gemeinsam war:
- Künftig sind die Außendienstmitarbeiter nicht mehr für Gebiete, sondern für definierte Kundengruppen zuständig.
- Sie werden weitgehend von administrativen Aufgaben entlastet, so dass sie mehr Zeit für ihre Kunden haben. Und:
- Eine entsprechende Umstrukturierung nach Kundengruppen und Aufgabengebieten erfolgt auch im Innendienst.
Neustrukturierung beschlossen und umgesetzt
Im Oktober 2009 fiel die Entscheidung: In der Apex-Zentrale wird ein Auftragscenter aufgebaut, das alle per Fax und Email eingehenden Aufträge bearbeitet und den Außendienstmitarbeitern sowie Keyaccountern einen großen Teil ihrer administrativen Aufgaben abnimmt. Zudem werden im Innendienst, korrespondierend mit den neuen Zuständigkeiten im Außendienst, zwei Teams von Verkäufern geschaffen, die jeweils entweder für genau definierte Großhandelskunden oder Objekteure wie Bauunternehmen zuständig sind. Der Vorteil einer solchen Innendienst-Struktur laut Berater Herlan: „Die Kunden haben klare Ansprechpartner und die Vertriebsmitarbeiter kennen den Bedarf ihrer Kunden besser und können diese folglich auch kompetenter beraten und betreuen.“
Nachdem das Konzept feststand, wurden die Voraussetzungen für die Umstrukturierung geschaffen. So wurden zum Beispiel Anforderungskriterien für die Mitarbeiter des Auftragscenters und der beiden Verkäuferteams im Innendienst formuliert. Außerdem stellte die Geschäftsleitung das Konzept dem Betriebsrat vor. Dieser reagierte wohlwollend, da auch er von den Mitarbeitern schon oft vernommen hatte: Wir stoßen an unserer Belastungsgrenzen und im Alltag treten gehäuft Probleme auf. Skeptisch blieb er aber, ob diese – statt durch mehr Personal – rein durch eine Umstrukturierung gelöst werden können, wie geplant.
Mitte Dezember 2009 wurde das Konzept auf einer Tagung zunächst allen Außendienstmitarbeitern präsentiert. Danach wurde es in sechs Workshops den knapp 60 Vertriebsmitarbeitern im Innendienst vorgestellt. Dieses Vorgehen wurde gewählt, um sich mit den Mitarbeitern in Kleingruppen intensiv über die Vor- und Nachteile austauschen zu können. In den anschließend noch verbleibenden zwei Wochen bis zum Jahreswechsel wurden in der Firmenzentrale die räumliche und technische Infrastruktur für die Umorganisation geschaffen, bevor schließlich zum Jahresbeginn 2010 die Arbeit in der neuen Struktur begann.
„Kinderkrankheiten“ ermittelt und kuriert
Anfangs verlief diese „nicht immer störungsfrei“, gesteht Geschäftsführer Wiesner, „auch weil mit der Umstrukturierung für alle Mitarbeiter ein Umlernen und Aufgeben von Routinen verbunden war.“ Außerdem zeigte sich: Das Telefonaufkommen beim Großhandels-Team ist zu groß. Also wurde es personell verstärkt. Recht schnell zeigte sich auch: Das Großhandels- und das Objekteure-Team sollten nicht im selben Großraumbüro sitzen, denn beide telefonieren viel. Entsprechend groß ist die Lärmkulisse. Also wurde eine räumliche Trennung vollzogen.
Um solche „Kinder-Krankheiten“ zu erkennen und beheben zu können, führte Apex Ende Februar 2010 auch eine anonyme Mitarbeiterbefragung durch. Ermittelt wurde, wo aus Mitarbeitersicht noch Änderungsbedarf besteht. Denn klar war der Geschäftsleitung: Auf „echte Probleme“ müssen wir sofort reagieren und deren Ursachen beseitigen, damit sich die Mitarbeiter ernstgenommen fühlen. Anders sieht es bei Problemen aus, die daraus resultieren, dass mit jedem Verändern von Abläufen, Strukturen und Arbeitsbeziehungen auch ein Abschiednehmen von Gewohnheiten und ein gewisses Neulernen verbunden ist. Hier müssen wir zwar auch am Ball bleiben, aber primär dadurch, dass wir immer wieder für die Veränderung werben und den Mitarbeitern Hilfestellungen beim Lösen ihrer Probleme im Alltag geben. Diese Aufgabe übernahmen im Auftragscenter weitgehend die beiden Teamleiter, die im Zuge der Umstrukturierung dort implementiert worden waren. Die Teamleiter ihrerseits wurden von Verkaufsleiter Fratschner gecoacht.
Neue Struktur entwickelt sich zur Normalität
So entwickelte sich die neue Struktur allmählich zur Normalität. Spätestens im Sommer 2010 war dieser Punkt erreicht. Dies zeigte sich unter anderem darin, dass in den Sommermonaten, anders als in den Vorjahren, kein Stress ausbrach. Denn in der Ferienzeit herrscht bei Apex Hochbetrieb – unter anderem, weil dann in vielen Schulen sowie Verwaltungs- und Industriegebäuden Umbauarbeiten erfolgen. „2010 haben wir diese Phase erstmals stressfrei gemeistert, obwohl viele Mitarbeiter in Urlaub waren“, berichtet Fratschner nicht ohne Stolz. Stolz sind er und Wiesner auch darauf, dass die Umstrukturierung weitgehend ohne Probleme für die Kunden verlief.
Hierzu trug laut Berater Herlan bei, dass im Zuge der Neustrukturierung auch der Prozess der Reklamationsbearbeitung neu definiert wurde. Ein zentrales Ziel hierbei war, „sicher zu stellen, dass die Kundeninformationen so aufgenommen und verarbeitet werden, dass wir daraus lernen und Fehlerursachen beseitigt werden“, betont Geschäftsführer Wiesner. „Denn nur dann kann unsere Leistung aus Sicht der Kunden stets besser werden, so dass diese gerne mit uns zusammenarbeiten.“
Gewappnet für neue Herausforderungen
Im Frühsommer 2010 erwarb Apex zudem, um seinen Kunden eine breitere Produktpalette offerieren zu können, einen Rollladen- und Jalousien-Hersteller und integrierte diesen in seine Organisation. „Dies wurde uns dadurch erleichtert“, betont Wiesner, „dass wir alle kundenrelevanten Prozesse zuvor genau definiert und neu strukturiert hatten.“ Eingeführt wurde zudem ein System, mit dem sich seine Kunden online darüber informieren können, wo sich die von ihnen bestellte Ware gerade befindet.
Aufgrund all dieser Innovationen ist der Apex GmbH vor der Zukunft nicht bang. Zurecht, wie Berater betont. Denn aufgrund der Veränderungen, die sich im Unternehmen im zurückliegenden Jahr vollzogen, haben seine Mitarbeiter auch Erfahrung im Umgang mit Veränderungen gesammelt. Dies wird es Apex erleichtern, neue Herausforderungen zu meistern.
* Die Unternehmenszentrale in der Schweiz gab diesen Praxis-Einblick inhaltlich frei, allerdings in „anonymisierter Form“, da das Unternehmen – wie viele Unternehmen – nicht möchte, dass etwas über seine „Probleme in der Vergangenheit“ publiziert wird. Daher wurde der Unternehmensname geändert und das Geschäftsfeld leicht verfremdet.