Wie lange sollten unsere Kandidaten für Top-Positionen auf einer Stelle verweilen, bevor sie die nächste Funktion übernehmen – sei es um breitere Erfahrung zu sammeln oder die nächste Stufe der Karriereleiter zu erklimmen?
Ein Blick in die puren Zahlen der Statistik:
- Das Durchschnittsalter der Vorstandsvorsitzenden der Dax-30-Unternehmen beträgt circa 53 Jahre.
- Und sie sind im Schnitt bereits 5 Jahre im Amt.
- Mit knapp 48 wurden sie also zum CEO ernannt.
- Und um dorthin zu kommen, mussten sie im Schnitt 6 Karriereschritte durchlaufen.
- Bei einem Eintrittsalter nach dem Studium von knapp 26 Jahren bedeutet das: Ein CEO braucht circa 22 Jahre Zeit, um nach „ganz oben“ zu gelangen.
- Und: Pro Karrierestufe stehen ihm knapp 3,7 Jahre zur Verfügung. Ist eine solche Verweildauer in den einzelnen Stationen zu kurz oder zu lang? Die Pro’s und Contra’s einer langen Verweildauer in einer Führungsposition seien im Folgenden näher ausgeführt.
Pro Kontinuität
Entscheidungen „ausbaden“: Wenn eine Führungskraft im Schnitt nur 3,7 Jahre in einer Funktion ist, ergibt sich in der Regel folgendes Wirkungsszenario:
- 1. Jahr: Kennen lernen der Funktion und des Geschäfts.
- 2. Jahr: Grundsatzentscheidungen treffen und Neuausrichtungen vornehmen.
- 3. Jahr: Umsetzung.
- 4. Jahr: Abschied.
Die „Ernte“ von neuen Weichenstellungen kann aber selten nach ein, zwei Jahren „eingefahren“ werden – speziell, wenn es um grundsätzliche Neuausrichtungen geht. Deshalb lassen sich oft folgende Phänomene beobachten:
- Bei vielen Jungmanagern liegt der Fokus des Handelns auf dem kurzfristigen Erfolg. Sie gehen primär Themen an, die ihnen spätestens im zweiten oder dritten Jahr Erfolge versprechen.
- Viele Top-Manager haben noch nie die Konsequenzen ihrer Entscheidungen erlebt. Wenn diese sich ergaben, waren sie schon im nächsten Job. Sie konnten so zwar viel Erfahrung im Projektmanagement und „Sanieren“ sammeln, eher wenig aber mit dem kontinuierlichen Aufbauen und Wachsen lassen.
Den Mitarbeitern Kontinuität geben: Mitarbeiter benötigen Verlässlichkeit. Wenn der Chef einen neuen Kurs einschlägt, benötigt er „Mitstreiter“. Er braucht Mitarbeiter, die seiner Vision vertrauen und seine Ideen auch gegenüber Kollegen vertreten. Besteht der berechtigte Verdacht, dass der Chef ohnehin bald wieder geht, haben Mitarbeiter oft Angst: Wenn ich mich zu klar positioniere, komme ich, wenn der „Patron“ weg ist, „unter die Räder“. Deshalb machen sie bei Veränderungsvorhaben zwar formal mit, um nicht als Blockierer zu gelten. Sie achten aber darauf, sich nicht zu sehr aus dem Fenster zu lehnen, um es sich mit niemand zu verscherzen.
Beziehungen aufbauen: Führung basiert auf Vertrauen. Eine Voraussetzung dafür ist ähnlich wie in einer Liebesbeziehung: Die Mitarbeiter können davon ausgehen, dass die Beziehung länger hält. „Lebensabschnittspartner“ genießen nie das volle Vertrauen des Partners. Die Bereitschaft, sich dem Chef „hinzugeben“, wächst mit der Annahme, dass dieser eine längerer Zeit bleibt.
Fachkompetenz aufbauen: Aufgrund der kurzen Verweildauer in den einzelnen Funktionen fehlt vielen Führungskräften das Fach-Know-how, um das Geschäft wirklich zu verstehen. Ihr Wissen über Produkte und Prozesse, Kunden und Mitarbeiter ist oberflächlich. Die Folge: Der Manager verkommt zu einem „Administrator“ des Bereichs. Das mangelnde Tiefenverständnis des Geschäfts führt zudem leicht zu Fehlentscheidungen.
Pro Wechsel
Nachfolgern Platz machen: Wenn die Führungskräfte in einer Organisation sehr lange in ihren Funktionen bleiben, dann hat der Managementnachwuchs meist wenig Entwicklungsperspektiven. Das ist für sehr gute Mitarbeiter oft ein Grund, die Firma zu wechseln, um beruflich voran zu kommen. Eine relativ kurze Verweildauer in den (qualifizierten) Führungspositionen eröffnet den guten Nachwuchskräften Karrierechancen und mindert die Gefahr, sie zu verlieren.
Bereichsdenke reduzieren: Ein Problem vieler Unternehmen ist das Bereichsdenken. Eine Ursache dafür ist das fehlende Verständnis für die Belange des Anderen. Dieses Manko kann nur behoben werden, indem der Managementnachwuchs sehr verschiedene Funktionen im Unternehmen wahrnimmt und keinen „Kaminaufstieg“ vollzieht. Ein solche Laufbahn erleichtert es Jungmanagern auch, die richtigen Entscheidungen im Sinne des Gesamtunternehmens zu treffen. Hinzu kommt eine veränderte Haltung, wenn ein Manager weiß: Morgen kann er aufgrund einer Rotation vielleicht schon auf dem Stuhl des anderen sitzen. Unternehmen, die Führungskräfte oft rotieren lassen, „entpersonifizieren“ die Managementaufgabe. Der Chef muss seine Aufgaben so erledigen, dass er jederzeit wechseln kann und einen „sauberen Laden“ hinterlässt.
Begrenzte Zeit, um die Hierarchiestufen zu durchlaufen: Auch pragmatische Gründe erschweren oft ein längeres Verweilen in einer Funktion. Wenn ein Top-Manager alle Hierarchieebenen erlebt und sich in den verschiedensten Funktionen bewährt haben soll, dann darf er nicht länger als vier Jahre in einer Funktion bleiben. Sonst „rennt ihm die Zeit“ davon. Deshalb muss der Personalbereich Potenzialträger regelmäßig aus ihren Funktionen herauslösen, um sie weiterzuentwickeln – selbst wenn sie das anfangs nicht wollen.
Internationale Erfahrungen sammeln: Jeder künftige Top-Manager sollte heute einige Jahre im Ausland verbringen. Doch diese Aufenthalte dürfen nicht zu lange sein. Sonst besteht die Gefahr, dass der Kandidat den „Anschluss“ an die Entwicklung im Mutterkonzern verliert. Die internationale Erfahrung hilft ihm, Entscheidungen „über den Tellerrand hinweg“ zu treffen und nicht nur die nationale Brille aufzuhaben.
Konsequenzen für die Personalentwicklung
Die Übersicht der Pro’s und Contra’s zeigt: Es gibt kein Patentrezept. Eine gute Managemententwicklung erfordert ein Wechselspiel zwischen Kontinuität und Wechsel. Hier liegt eine bisher vernachlässigte Aufgabe der Personalentwicklung. Sie muss die Wechselprozesse begleiten und bei Führungswechseln neben den Kandidaten für die Top-Positionen auch deren (bisherige) Mitarbeiter stärken. Ganz gleich wie viel Wechsel ein Unternehmen jedoch im mittleren Management anstrebt: Es sollte darauf achten, dass an der Unternehmensspitze weitgehend Kontinuität besteht.
Gastautor: Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur ist u.a. Autor des „Change Management Handbuch“ (Cornelsen Verlag, 3. Auflage 2010). Seit 1994 ist er Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence und der technischen Universität Clausthal.