Leadership Development
Top Management-Berater Dr. Anke Houben und Dr. Kai Dierke, Zürich sprachen bereits im HRweb-Interview „Was Männer lernen müssen …“ darüber, dass mehr Frauen in die Top-Etagen der Unternehmen Einzug halten müssen. Hier gehen sie weiter ins Detail und sprechen davon, warum Alibihandlungen nicht zielführend sein können, sondern eine kritische Masse an Frauen in Unternehmen und Führungsebenen notwendig sind.
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Ein Artikel von zwei Schweizern, der für Österreich ebenso Gültigkeit hat!
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Los geht’s:
Warum braucht es eine Frauenquote? Genügt es nicht, wenn ein, zwei Frauen zum Beispiel an der Spitze des HR-Bereichs und der Kommunikationsabteilung stehen? Das gehört in vielen Unternehmen doch schon zum guten Ton.
Dierke: Nein, denn es geht primär darum, in den Führungsgremien insgesamt Verhaltensweisen zu entwickeln, die heute eher Frauen zugeschrieben werden. Das heißt, die Führungsgremien müssen lernen – und das tun sie erst, wenn ein gewisser Tipping Point überschritten wird.
Also wenn sozusagen eine „kritische Masse“ von Frauen in den Gremien vertreten ist?
Dierke: Ja, erst dann erfolgt eine Verhaltensänderung insgesamt. Es kann doch nicht darum gehen, dass Führungsgremien sich Frauen „leisten“, die dann quasi einen Exoten-Status haben oder eine Alibi-Funktion erfüllen. Es geht darum, dass sich das Verhaltensrepertoire der Vorstände verändert. Und dieses Ziel erreicht man nur mit einer kritischen Masse von Frauen in den Top-Positionen – zum Beispiel 30 oder 40 %. Denn nur dann können nach unserer Erfahrung Frauen ihre Kompetenzen in der Führung und Zusammenarbeit auch wirklich einbringen und ausleben. Heute ist das in den Unternehmen vielfach noch nicht der Fall.
Wie erleben Sie Frauen in Top-Führungspositionen heute?
Houben: Häufig sind die Top-Teams in den Unternehmen noch reine Männer-Clubs mit ihren ganz eigenen Dynamiken. Daneben gibt es Teams, in denen Frauen als Ausnahmefall vertreten sind. In diesen Top-Teams treten die Frauen in ganz spezifischen Rollen auf. Sie werden darauf begrenzt und lassen sich darauf begrenzen.
Welche Rollen sind das?
Dierke: Wir registrieren bei unserer Arbeit, überspitzt gesagt, folgende drei „Rollen“. Da ist zunächst „die ganze Kerlin“ – eine Frau in einflussreicher Führungsposition mit Kerngeschäftsverantwortung, die das althergebrachte Verhaltensrepertoire mitspielt und sich darauf beschränkt. Diese Frauen sind aufgestiegen, weil sie das klassische männliche Verhaltensmodell sehr gut beherrschen und entsprechend selbstbewusst auftreten.
Houben: Ein Großteil der Coaching-Arbeit mit Frauen in Unternehmen fokussiert sich heute doch noch auf die Frage: Wie kann ich den männlichen Kanon so gut mitspielen, dass ich erfolgreich bin? Das heißt, es wird das männliche Modell perpetuiert – und genau deshalb wird „Frau“ von den männlichen Teammitgliedern anerkannt.
Was ist die zweite Rolle?
Dierke: Die zweite Rolle von Frauen in Leadership Teams nennen wir „Mutter der Kompanie“. Das heißt, die Stelleninhaberin hat zwar eine zentrale Funktion für die produktive Dynamik im Team. Sie trägt aber im engeren Sinne keine geschäftliche Kernverantwortung, sondern verantwortet zum Beispiel Kommunikation, Personal oder Ähnliches. Sie hält die emotionale Hygiene des Teams aufrecht. Sie wird für das Schlichten von Konflikten angesprochen und ist Ansprechpartnerin bei sozialen Verwerfungen im Team. Ihr vertraut man sich an und ihr gegenüber öffnet man sich. Das ist eine spezifisch weibliche Rolle, verbunden mit entsprechenden Verhaltensweisen. Sie ist zwar von höchster Relevanz für die Erfolgsfähigkeit eines funktionierenden Teams. Frauen, die diese Rolle innehaben, schöpfen aber meist die Möglichkeiten, die sie aufgrund ihrer Führungsfähigkeiten in einem Team hätten, nicht aus.
Und die dritte Rolle?
Dierke: Ist die „Charmante Challengerin“, die man sich „gönnt“. In einem Männer-dominierten Gremium darf eine Frau dann auch mal „auf den Putz hauen“. Anders als die „Mutter der Kompanie“ sind dies Frauen mit einer Kerngeschäftsverantwortung, die den Männern auch mal „den Kopf waschen“ dürfen. In dieser Rolle werden sie von den Männern als „nice to have“ genutzt und gelobt – nach dem Motto: „Wir brauchen so jemanden wie Dich, Du tust uns gut!“. Einem Mann gegenüber würde man sich nie so äußern. Deshalb ist auch dies eine Form von Diskriminierung. Denn das ist keine Rolle auf Augenhöhe: Es ist eine Rolle, die zum Beispiel vom Vorstandsvorsitzenden gewährt und im Bedarfsfall auch bewusst wieder beschnitten wird, nach dem Motto: So, jetzt ist es genug.
Was folgern Sie aus dieser Ist-Situation?
Houben: Dass eine Frauenquote wichtig ist. Denn ein, zwei Frauen allein – zudem in den beschriebenen, begrenzten Rollen – gewährleisten nicht, dass Führungsteams sich die Verhaltensweisen aneignen, die Frauen stärker verkörpern und die Teams wirksamer machen. Nur mit einer kritischen Masse von 30 bis 40 % können Frauen den Lern- beziehungsweise Veränderungsprozess anstoßen, der nötig ist, damit die Führungsgremien insgesamt funktionaler führen als heute.
Das heißt, Sie empfehlen die Einführung einer Frauenquote in den Unternehmen?
Dierke: Ja. In vielen Unternehmen ist sicherlich „technisch“ die Vorgabe einer Frauenquote – beispielsweise bis 2015 – erforderlich und damit verbunden eine Selbstverpflichtung für die Rekrutierung und Einbindung von Frauen auf der Führungsetage.
Sie plädieren aber nicht für eine gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote?
Dierke: Hierfür wäre der Talentpool von Frauen in vielen Unternehmen aufgrund der bisher mangelnden gezielten Förderung für die Top-Ebene noch viel zu klein.
Houben: Und damit träfe genau das ein, was Frauen berechtigterweise selbst kritisieren – dass Frauen „nur“ weil sie Frauen sind, nach oben befördert werden.
Die Unternehmen brauchen also zunächst ein Phase der Talententwicklung im eigenen Haus, um eine Frauenquote angemessen umsetzen zu können?
Dierke: Ja. Hinzu kommt – und das ist für uns entscheidend: Die Vorstände und Geschäftsführungen müssen sich zeitgleich auf Verhaltensänderungen vorbereiten.
In welchen Bereichen?
Dierke: Auf zwei Feldern. Erstens müssen sie ihre eigenen Verhaltensweisen im Top Team kritisch hinterfragen und neue Verhaltensweisen zulassen. Die Männer auf der Top-Ebene müssen sich ebenso wie die Frauen einem Lernprozess stellen, damit sie als Team das Potenzial an Fähigkeiten voll nutzen können, das Frauen zugeschrieben wird. Wenn dieser Lernprozess nicht erfolgt, ist auch mit 50 oder 60 % Frauen in den Gremien nichts gewonnen. Denn es geht primär um ein gemeinsames Verhaltenslernen in den Top-Teams.
Und welches ist das zweite Feld?
Houben: Die Top-Teams müssen eine systematische Diversity-Politik auch auf den nächsten Ebenen im Performance Management, Talent Management und bei der Rekrutierung vorantreiben und damit die nötige Vielfalt von Verhaltensweisen in Führung und Zusammenarbeit aktiv entwickeln. Werden die bisherigen klassischen Verhaltensmuster als Kriterium in Entwicklung und Neueinstellung perpetuiert, findet keine Veränderung statt. Auch hier ist ein Umdenken und Lernen erforderlich – angestoßen durch das Top Management und konsequent umgesetzt auf den weiteren Ebenen.
Heißt das, die angestrebten Verhaltensweisen müssen sich zum Beispiel auch in den Beurteilungssystemen, Beförderungskriterien und Rekrutierungsschemata widerspiegeln?
Dierke: Ja, denn nur das ermöglicht eine Nachhaltigkeit jenseits der Frauenquote. Eine wirklich zukunftsorientierte Lösung muss vereinfacht gesprochen, die „Hardware“ und die „Software“ bedienen. Das heißt, zum einen muss die Frauenquote als Anspruch „technisch“ mit Zielgrößen und Zeitvorgaben konkretisiert werden, und zum anderen müssen die Entscheidungsträger daran arbeiten, sich selbst kritisch zu hinterfragen und für neue Verhaltensweisen zu öffnen.
Houben: Denn Frauen haben kein Monopol auf die eher ihnen zugeschriebenen Verhaltensweisen – dasselbe gilt für die Männer. Es geht hier um ein Verhaltenspotenzial, das in den bisher Männer-dominierten Gremien systematisch ausgebaut werden sollte. Denn nur dann können Unternehmen – neben der Erweiterung des Talentpools – den eigentlichen Nutzen der Frauenquote heben.
Zu den Interviewten: Dr. Kai Dierke und Dr. Anke Houben sind Managing Partner der Top Management Beratung Dierke Houben Associates, Consultation in Leadership Dynamics, Zürich. Sie beraten und coachen Vorstände und Geschäftsführungen seit vielen Jahren in wirksamer Führung und Zusammenarbeit. Kai Dierke war nach seiner Zeit als Berater bei McKinsey bis 2003 Mitglied der Konzernleitung der Winterthur Versicherung. Anke Houben ist nach Erfahrungen bei Bertelsmann und der Arthur D. Little Strategieberatung heute zudem Coach am INSEAD Global Leadership Center, Fointainebleau, und beim WEF World Economic Forum in Genf. Nähere Infos: www.dierkehouben.com; Email: office@dierkehouben.com