Unternehmens-Kultur hinkt Organisations-Struktur hinerher
Im zurückliegenden Jahrzehnt hat sich in den Unternehmen fast alles verändert – von der Arbeits-Struktur bis zur Unternehmens-Kultur. Und dieser Changeprozess wird sich mit einem stets rasanteren Tempo fortsetzen. Davon ist Johann Scholten (Geschäftsführer der WSFB Beratergruppe Wiesbaden) überzeugt.
Die Mitarbeiter vieler Unternehmen klagen über den hohen Veränderungsdruck, unter dem sie bei ihrer Arbeit stehen. Was hat sich im vergangenen Jahrzehnt in den Unternehmen verändert?
Johann Scholten: Fast alles – von der Organisationsstruktur über die Arbeitsprozesse und -beziehungen bis hin zur Unternehmenskultur.
Was war der größte Treiber der Veränderung?
Der technische Fortschritt – insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie. Er ermöglichte es, die Arbeits- und Kommunikationsprozesse in den Unternehmen und zwischen ihnen ganz neu zu gestalten und war damit der Motor der Veränderung – sowie der Globalisierung. Ohne die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie wäre die Globalisierung, wie wir sie erleben, nicht möglich. Wobei mich als Organisationsberater im Rückblick selbst immer wieder überrascht, wie rasant sich diese Entwicklung vollzieht.
Projektarbeit ist vielfach Regelarbeitsform
Warum?
Vor 10-15 Jahren waren in den meisten Unternehmen gerade Mal die Büroarbeitsplätze mit PCs ausgestattet, und die Betriebe waren noch vollauf damit beschäftigt, diese zu vernetzen, um die internen Arbeitsprozesse zu optimieren. Das Internet jedoch steckte noch in den Kinderschuhen. Und die sozialen Netzwerke? Sie waren noch nicht erfunden. Und heute? Heute ist es nicht nur selbstverständlich, dass die Unternehmen via Internet miteinander kommunizieren, was ganz neue Formen der Zusammenarbeit – weltweit – ermöglicht. Sie kommunizieren auch mit ihrer Umwelt via Internet sowie zunehmend mittels der Social Media.
Inwiefern haben sich hierdurch die Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen in den Unternehmen verändert?
Vor zehn Jahren waren die meisten Betriebe noch sehr hierarchisch strukturiert, und sie waren weitgehend darum bemüht, die einzelnen Bereiche wie zum Beispiel die Produktion zu optimieren. Heute hingegen haben fast alle Großunternehmen eine Matrix-Organisation.
Um die bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu forcieren?
Richtig, woraus auch neue Anforderungen an die Mitarbeiter resultieren. Nehmen Sie die Team- und Projektarbeit. Vor zehn Jahren waren die meisten Unternehmen noch damit beschäftigt, diese in einzelnen Bereichen einzuführen. Heute ist die bereichs- und vielfach auch unternehmensübergreifende Team- und Projektarbeit in vielen Betrieben bereits die Regelarbeitsform.
Die Kultur hinkt der Struktur oft hinterher
Inwiefern hat sich durch die veränderte Struktur auch die Kultur der Unternehmen gewandelt?
In der Organisationsstruktur eines Unternehmens spiegelt sich dessen Kultur wider. Deshalb hat ein Wandel der Organisationsstruktur auch einen Einfluss auf die Unternehmenskultur. Mein Eindruck ist jedoch: In vielen Unternehmen hinkt die Kultur der Entwicklung der Struktur hinterher. Und dies ist ein zentraler Hemmschuh für ihre weitere Entwicklung.
Warum hinkt die Unternehmenskultur der Organisationsstruktur hinterher?
Weil man sie im Gegensatz zur Organisationsstruktur nicht top-down – oder salopp formuliert per Vorstandsbeschluss – verändern kann. Denn damit sich die Kultur eines Unternehmens wandelt, müssen die für sie tätigen Personen ihre Einstellungen und Verhaltensmuster ändern. Dieser Prozess vollzieht sich nicht von heute auf morgen, denn den meisten Menschen – auch mir – fällt ein Verändern ihrer Denk- und Verhaltensgewohnheiten schwer.
Warum?
Weil ihre Einstellungen ein Teil ihrer Persönlichkeit sind. Und ihre Verhaltensmuster vermitteln ihnen Sicherheit. Hinzu kommt: Alle Betriebe stehen vor dem Dilemma, dass sie einerseits eine gewisse Hierarchie und ein bestimmtes Regelwerk brauchen. Zugleich steht dieses Regelwerk aber vielfach ihren Mitarbeitern im Weg, wenn sie die gewünschten, neuen Verhaltensmuster zeigen möchten. Hier stets aufs Neue die richtige Balance zu finden, ist für alle Unternehmen eine große Herausforderung.
Unternehmen stoßen an ihre Grenzen
Haben Sie hierfür ein Beispiel?
Ja. Viele Unternehmen fordern von ihren Mitarbeitern „Ihr müsst mehr Eigeninitiative zeigen“. Tun das die Mitarbeiter aber, dann stellen sie oft fest: Das firmeninterne Regelwerk steht mir hierbei im Weg und im Extremfall werde ich, wenn ich ein solches Verhalten zeige, sogar sanktioniert. Die Folge: Sie behalten ihre alten Verhaltensmuster bei. Insgesamt ist unser Eindruck als Organisationsberater: Viele Unternehmen stoßen, wenn es um das Bewältigen der Herausforderungen, die aus dem Wandel resultieren, an ihre Grenzen. Sie hinken der Entwicklung stets hinterher.
Der Change ist also zum Dauerzustand geworden?
Ja. Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Viele Projekte sind heute nicht mehr vom Ziel her planbar, weil sich im Projektverlauf die Rahmenbedingungen so stark ändern, dass das Ziel neu definiert werden muss.
Was folgt daraus für die Unternehmen?
Sie müssen in die Projekte mehr Reflexionsschleifen einbauen, in denen sie überprüfen: „Befinden wir uns noch auf dem richtigen Weg?“ Und sie müssen viel stärker als früher die Intelligenz der Organisation nutzen, um ihr Ziel zu erreichen.
Mehr Kompetenz in Sachen Changemanagement
Was heißt das?
Früher genügte es, wenn einige Experten in der Organisation – zum Beispiel im Bereich Organisationsentwicklung – fit in Sachen Changemanagement waren. Heute hingegen muss überspitzt formuliert jeder Mitarbeiter eine gewisse Grundkompetenz im Umgang mit Veränderungen haben.
Herr Scholten, danke für das Gespräch.
Interview-Partner: Johann Scholten ist einer der drei Geschäftsführer der WSFB-Beratergruppe Wiesbaden (Tel.: 0611/15766-0; E-Mail: wsfb@wsfb.de, Internet: www.wsfb.de), die Unternehmen bei Veränderungsprozessen begleitet und deren Mitarbeiter trainiert. Zudem bildet WSFB Organisationsberater aus.