Stellt die Generation Y bisherige Personalkonzepte auf den Kopf? Nein, nicht die Tatsache, dass eine neue Generation auf den Arbeitsmarkt drängt, verunsichert so manchen Personalisten. Die Ursachen liegen tiefer und sind eher soziologischer sowie mikro- und makroökonomischer Natur. Einige seien genannt:
Gesellschaftliche Veränderungen
1. Gute Bewerber sind rar.
Trotz Finanz- oder Eurokrise läuft die Wirtschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz wie geschmiert. Und auf dem Arbeitsmarkt herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Das heißt, gute Fach- und Führungskräfte sind rar. Entsprechend selbstbewusst können hoch qualifizierte Bewerber bei der Stellensuche agieren, da sie meist mehrere Optionen haben. Deshalb müssen die Unternehmen sich als attraktive Arbeitgeber profilieren und um die begehrten, weil raren Arbeitskräfte aktiv werben.
2. Die Bevölkerung vergreist.
Nicht nur die Bevölkerung ergraut, auch die Belegschaften vieler Betriebe weisen einen hohen Anteil älterer Arbeitsnehmer auf. Entsprechend viele junge Mitarbeiter müssen sie in den kommenden Jahren für sich gewinnen, um die Abgänge durch Verrentungen zu kompensieren. Das fällt Unternehmen in einem Umfeld, in dem qualifizierte Arbeitnehmer ohnehin rar sind, schwer. Deshalb müssen die Unternehmen eine vorausschauende Personalpolitik betreiben und ihr Aus- und Weiterbildungsengagement erhöhen.
3. Das Bildungsniveau steigt.
In den zurückliegenden Jahrzehnten stieg das Bildungsniveau der (Hoch-)Schulabsolventen. Das kommt einerseits dem Bedarf der Unternehmen entgegen, weil viele Aufgabenstellungen in ihnen heute eine höhere Qualifikation erfordern. Zugleich haben die höher qualifizierten Mitarbeiter aber höhere Erwartungen an ihre Arbeitgeber. Also müssen sich die Unternehmen verstärkt Gedanken darüber machen, wie sie gut qualifizierten Mitarbeitern eine Entwicklungsperspektive jenseits der Führungslaufbahn bieten können.
4. Die Zahl der jungen Erben steigt.
Für viele gutqualifizierte Hochschulabgänger gilt: Ihre Eltern zählten zu den Besser-Verdienenden in der Gesellschaft. Deshalb ist für viele absehbar, dass sie irgendwann ein größeres Vermögen erben. Also entfällt für so manchen jungen Arbeitnehmer die Triebfeder Vermögensaufbau – sei es um sozial aufzusteigen oder fürs Alter vorzusorgen. Deshalb müssen die Unternehmen sich überlegen: Wie können wir hochqualifizierte Mitarbeiter motivieren, deren Existenz und finanzieller und sozialer Status (in absehbarer Zeit) auch ohne Job (bei uns) gesichert ist?
5. Die sozialen Einheiten werden immer kleiner.
Vor 30, 40 Jahren dominierten in unserer Gesellschaft noch die Familien mit zwei, drei und mehr Kindern. Und gründete der Nachwuchs eine eigene Familie? Dann geschah dies meist in relativer Nähe zum Elternhaus. Heute hingegen dominieren zumindest in den städtischen Ballungsräumen die Single-Haushalte. Und die verbliebenen Familien? Sie sind oft Patchwork-Familien mit einem oder zwei Kindern. Und die Großeltern, auf die man früher im Bedarfsfall zurückgreifen konnte? Zum Beispiel, wenn der Lebenspartner oder ein Kind krank wurde. Sie wohnen oft Hunderte von Kilometern entfernt. Das heißt: Vielen Arbeitnehmern fehlen heute gewachsene, soziale Stützsysteme, die sie bei Bedarf (emotional) tragen. Entsprechend „verletzlich“ sind sie. Daraus resultiert die Herausforderung für Unternehmen: Sie müssen mit ihrer Personalpolitik auf die veränderte Lebensrealität ihrer Mitarbeiter reagieren, zum Beispiel, indem sie ihnen ein noch flexibleres Arbeiten ermöglichen und Auszeiten, wenn sie privat gefordert sind.
Unternehmens-intern
Neben diesen gesellschaftlichen Veränderungen gibt es mikro- und makroökonomische, die die Personalstrategien vieler Betriebe in Frage stellen. Einige seien genannt.
1. Die Unternehmen sind heute netzwerkartiger als früher strukturiert.
In den tayloristisch organisierten Betrieben der Vergangenheit hatte jeder Mitarbeiter seine in einer Stellenbeschreibung klar definierten Aufgaben. Heute hingegen sollen (in den Kernbereichen der Unternehmen) die Mitarbeiter zumeist in oft bereichs- und hierarchieübergreifenden Teams die ihnen übertragenen Aufgaben lösen – und zwar weitgehend eigenständig. Deshalb fordern sie zu Recht mehr Information und Partizipation. Daraus folgt: Die Unternehmen müssen ihre tradierten Führungsmodelle überdenken, weil sie oft mit dem Arbeitsalltag ihrer Mitarbeiter kollidieren.
2. Die Beziehung Arbeitgeber-Arbeitnehmer wird eine Kooperation auf Zeit.
Die Unternehmen müssen heute häufiger ihre Strategien überdenken. Deshalb können sie ihren Mitarbeitern keine lebenslangen Beschäftigungsgarantien mehr geben, wie sie dies in der Vergangenheit unausgesprochen oft taten. Die Zusammenarbeit wird zunehmend zur Zusammenarbeit auf Zeit. Das wissen auch die Mitarbeiter. Deshalb binden sie sich emotional nicht mehr so stark an ihre Arbeitgeber. Also müssen sich die Unternehmen fragen: Wie stellen wir eine Identifikation mit dem Unternehmen sicher, selbst wenn die Zusammenarbeit wahrscheinlich eine Zusammenarbeit auf Zeit ist?
3. Die Arbeits- und Qualifikationsanforderungen wandeln sich schneller.
Aufgrund des sich rasch wandelnden Unternehmensumfelds wandeln sich die Anforderungen an die Mitarbeiter schneller. Deshalb erwarten sie von ihren Arbeitgebern eine aktivere Unterstützung beim Weiterentwickeln ihrer Kompetenz, damit sie auch morgen noch begehrte Arbeitnehmer sind. Daraus erwächst die Herausforderung für Unternehmen: Sie müssen ihre Personalentwicklungskonzepte so gestalten, dass jeder Mitarbeiter die Unterstützung erfährt, die er – als Individuum – zum Erhalt oder Ausbau seiner beruflichen Kompetenz und zum Wahrnehmen seiner (künftigen) Aufgaben braucht.
4. Die „Siemens-“ oder „Opel-Familie“ gibt es nicht mehr.
In den zurückliegenden Jahrzehnten wurden die meisten Großunternehmen aus betriebswirtschaftlichen Gründen in Holdings umgewandelt. Das heißt, die Unternehmensspitze sourcte Bereiche entweder aus oder wandelte sie in Tochtergesellschaften um, in denen meist auch andere Tarifverträge als bei der „Mutter“ (oder keine) gelten. Sie ersetzte zudem (auf der operativen Ebene) oft Teile der Stammbelegschaft durch Leiharbeiter. Das registrierten (und spürten) auch die Mitarbeiter, weshalb sie emotional auf Distanz zu ihrem Arbeitgeber gingen und das tradierte Gefühl „Wir sind eine Familie“ zerbrach. Also müssen sich die Unternehmen fragen: Wie können wir das Gemeinschaftsgefühl in unserer Organisation bewahren, obwohl unsere Mitarbeiter faktisch für verschiedene Unternehmen arbeiten, die oft auch unterschiedliche Personalstrategien haben?
Sich mit den oben skizzierten Veränderungen zu befassen, ist für Personalverantwortliche zielführender als sich mit der Generation Y oder Why zu beschäftigen – denn diese ist nur eine Schimäre am Medienhorizont.
Gastautor: Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der international agierenden Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (www.kraus-und-partner.de). Der diplomierte Wirtschaftsingenieur ist seit 1994 Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence und der technischen Universität Clausthal.