Das digitale Zeitalter … wie sag ich’s denn schön komplex & gleichzeitig redundant … digitalisiert die gesamte Arbeitsumgebung rund um das Individuum. Die Individuen zu befähigen, mit dieser Transformationsgeschwindigkeit mitzuhalten ist – teilweise / großteils ? – Aufgabe der HR-Abteilung. Richtig? Hm.
Mit „Hm“ kommen wir aber nicht wirklich weiter. „Die Rolle von HR bei der digitalen Transformation von Unternehmen: Das Management von Unvereinbarkeiten und Widersprüchen einer Umbruchphase: Schaffen neuer Rahmenbedingungen“ lese ich im Programm zur nächsten PoP (HR-Kongress, Rust, 23+24april2015). Ich bin von Natur aus überaus neugierig & mit geringer Geduld behaftet, daher bitte ich Prof. Dr. Dr. Ayad Al-Ani (Alexander von Humboldt Institut) bereits im Vorfeld zum Interview:
Was verstehen Sie unter der Digitalisierung in Unternehmen?
Dies ist zunächst eine Strategie, die das Ziel hat, durch die Nutzung von Sozialen Medien und virtuellen Plattformen, die Entwicklung, Produktion und den Vertrieb von Produkten und Dienstleistungen im Unternehmen und mit externen Partner und Kunden flexibler zu organisieren. Die Kollaboration von Individuen ist in der globalen und digitalen Welt ja sozusagen „de-institutionalisiert“: Wir müssen niemand mehr um Genehmigung fragen, wenn wir mit anderen Individuen kommunizieren und zusammenarbeiten wollen. Die digitale Organisation zieht hier die Konsequenzen und versucht allein oder gemeinsam mit anderen Unternehmen, digitale Räume und Märkte zu schaffen, die man trotzdem noch beeinflussen und in denen man Geld verdienen kann. Die traditionelle Organisation wird immer öfter durch solche virtuellen Arbeits- und Markträume überlagert oder sogar – mal kampflos, mal mit Gejammer – verdrängt, ohne dass man zunächst den Bruch mit der alten Welt riskieren möchte und kann.
Zusätzlich gewinnt die Robotik immer mehr Einfluss in den physischen Fertigungsprozessen und reduziert dort den Einsatz der menschlichen Arbeitskraft. Zudem bietet sich Künstliche Intelligenz bzw. sogenannte „Software Agents“ zunehmend als Unterstützung des Individuums bei der Erledigung seiner Arbeit und zur Entscheidungsfindung an. Entscheidungen werden immer öfters auf empirischen Grundlagen getroffen: Wir können Resultate prognostizieren oder sogar Verhalten durch datengetriebene „Zeitreisen“ vorhersagen und so klüger agieren als bisher.
Das Individuum in der Digitalen Arbeitsorganisation agiert unter dem Strich also selbstständiger, eigenverantwortlicher aber auch zunehmend als „nacktes Individuum“, welches mehr Risiken seiner Berufsbiographie übernehmen wird.
Welche Rolle spielt HR bei der digitalen Transformation von Unternehmen?
In dem Sinne, dass die neue Digitale Wirtschaft vorgibt, dass die Organisation um selbstgesteuerte Individuen herum gebaut werden muss und nicht mehr die Individuen in die Organisation eingepasst werden, würde man vermuten, dass HR hier eine zentrale und vielleicht sogar avantgardistische Rolle spielen müsste. Aber tut HR das auch? Die Ausgangssituation in den meisten Unternehmen ist für eine solche Rolle schwierig. Denn trotz aller Beteuerungen des Vorstands über die Wichtigkeit des Humankapitals, haben HR-Aspekte nach wie vor oftmals nicht die höchste Priorität.
Was heißt das für den einzelnen Personalisten konkret?
Dass sich das Aufgabengebiet in den nächsten 10 Jahren radikal verändern wird. Für die Digitale Strategie gibt es heute nur in den wenigsten Unternehmen, klare Rollen und Aufgaben: Wie öffnet man z.B. Unternehmensprozesse zu anderen Partnern? Wie sucht man und motiviert man diese Partner? Wie bindet man diese an? Dies wären durchaus Funktionen, in denen man sich HR Spezialisten vorstellen könnte. So zeigen schon neue Organisationsmodelle, wie sie etwa Kreativitäts- oder Software-Entwicklungsplattformen darstellen, bei denen zigtausende Individuen angeschlossen sind, dass man Community Manager braucht, die die Interaktionen pflegen, stimulieren und Konflikte schlichten.
Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass die bisherigen starren Lern- und Ausbildungsstrecken im Unternehmen nicht mehr geeignet sind. Im Hyperwettbewerb sind derartige starre Ausbildungskonzepte zumeist obsolet. Gefragt sind individualisierbare, „on-demand“-funktionierende Lernstrecken. Der HR-Bereich muss diese Inhalte selbst nicht mehr herstellen, sondern Plattformen aufbauen oder nutzen, damit auf diesen der Mitarbeiter seine Inhalte herunterladen kann, wann und sooft er will.
Allerdings wird dieser Aufgabenwandel in der Regel nicht von einem auf den anderen Tag passieren, sondern wir bekommen in einer Transformationsphase ein Nebeneinander von alten und neuen Strukturen und Verhaltensweisen. Dies führt immer wieder zu Konflikten und Problemen, denen sich der HR Bereich im Sinne einer „ambidextrous“ bzw. „beidhändigen“ Strategie stellen muss. Der alte Bereich wird auf Effizienz getrimmt und der neue muss innovativ sein. Beide Bereiche arbeiten mit anderen Logiken und Erfolgsmaßstäben. Vielleicht wird es HR Spezialisten für diese beiden Bereiche geben und Spezialisten, die die Kooperation zwischen diesen beiden Welten organisieren.
Erkennen andere Unternehmens-Bereiche die Wichtigkeit von HR hinsichtlich digitaler Transformation ebenso oder wird diese Aufgabe eigentlich nicht HR zugeschrieben?
Wie gesagt, sind die Agenden und Rollen der Digitalen Transformation in vielen Unternehmen noch äußerst unklar. Bei den Unternehmen, die als eine Art „Showcase“ agieren, erkennt man aber, dass der HR Bereich oft eine erstaunlich zentrale Rolle spielt. Er ist zwar nie im Lead, hat aber eine wichtige Rolle etwa beim Umbau der Rekrutierungsstrategie und wagt sich auch schon an die Fragen der Arbeitsorganisation heran, weil auf einmal Digitale Arbeiter mit der traditionellen Belegschaft verbunden werden müssen, etwa in der Medien- und IT-Industrie.
Man kann vermuten, dass insbesondere bei den großen Industrie- und Handelsunternehmen, die von der Digitalisierung massiv betroffen sind, in den nächsten Jahren – quasi notgedrungen – innovative HR-Lösungen entworfen werden, weil der Druck massiv ansteigen und der Staat von sich aus keine Lösungen anbieten wird. Unternehmen werden also eigene Strategien entwickeln, wie sie mit den Effekten der Robotik und offenen Organisationsformen umgehen. HR wird sich somit auch mit dem Thema beschäftigen, wie man mit den für die Digitalisierung vermeintlich „unbrauchbaren“ Mitarbeitern umgeht. Mit der heutigen Diktion und dem elitären Bildungsverständnis ist dies allerdings eine scheinbar unlösbare Aufgabe. Wie kann man Mitarbeiter, die wenig bis keine Bildung erhalten haben, demotiviert und durch die Arbeitsteilung deformiert sind, produktiv machen?
Wie man sieht, sind dies große Fragen, denen sich auch und gerade der HR-Bereich stellen muss, wenn er eine Rolle bei der Transformation spielen will. Dies würde nach einem schnellen Aufbau neuer Kompetenzen parallel zu den bestehenden Aufgaben rufen. Schließlich könnte HR der Organisation aufzeigen, welche Richtung sie im Kontext des „Neuen Arbeitens“ einzuschlagen hätte. Keine einfache Aufgabe, wenn man dies dem HR-Bereich nicht zutraut und vielleicht werden diese Aufgaben dann auch von anderen Bereichen im Unternehmen ausgeführt. Auf der anderen Seite hat man jetzt endlich die Chance, jene Konzepte zu realisieren, denen bislang die technologische Grundlage fehlte: Individuelles lebenslanges Lernen, Selbststeuerung und Selbstorganisation, Entrepreneurship, Dezentralisierung und flachere Hierarchien sind mit virtuellen Plattformen und digitalen Lernstrecken nun möglich.
Interview-Partner:
„Digitale Transformation im Unternehmen – welche Rolle spielt HR?“
Dr. Dr. Ayad Al-Ani hat 20 Jahre Erfahrung bei internationalen Beratungsunternehmen u.a. als Executive Partner bei Accenture und Geschäftsführer in Wien. Zuletzt war er Rektor und Professor an der ESCP sowie Professor an der Hertie School of Governance. Aktuell forscht er am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft und ist Geschäftsführer der digitalen Beratungsagentur tebble.
Veranstaltungs-Tipp
- PoP 2015
- 23+24apr2015
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