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Stellen Sie sich eine Coaching-Session vor: womit beginnt sie? Mit der Beschreibung der Probleme UND mit der Analyse der Ursachen der Probleme. Also mit VIEL Vergangenheit und Nicht-Gelingendem. Coaching und auch andere Formen der Beratung gehen davon aus, dass der Mensch seine Probleme und seine Vergangenheit verstehen muss, um die Zukunft zu verändern.

Autor: Mag. Dr. Günter Lueger

Was aber…..

…wenn der Mensch nicht von der Vergangenheit getrieben sondern von der Zukunft gezogen wird?

…wenn es für die Nutzung unserer Potenziale genügen würde, die besser gelingende Zukunft zu verstehen

…wenn Menschen vorausschauende also antizipierende Wesen sind und nicht „Erinnerungsmaschinen“

…wenn das Finden und Erfinden einer besseren Zukunft durch die Analyse der Vergangenheit sogar schwieriger würde?

Dann wäre Entwicklung und Beratung sowie auch Coaching in weiten Bereichen auf dem Holzweg und Menschen und Organisationen könnten ihre Potenziale nicht wirklich zur Geltung bringen.

Genau dies zeigt sich in neuen Konzepten des Veränderungsmanagements wie der Antizipationsforschung (z.B. Mihai Nadin), brandneuen Forschungsergebnissen der Hirnforschung (Chandra Sripada) bzw. dem an unserem Institut entwickelten Konzept des Potenzialfokus (und dem Potenzialfokussierten Coaching).

Anm.d.Red: siehe Event-Hinweis unten: Diplom-Lehrgang: Lösungsfokussiertes Coachen und Beraten (Wien)

Vergangenheits-verhaftet

Sowohl Praxis als auch Theorie von Veränderung gehen von der Annahme aus, dass die Diagnose und Einschätzung der Ist-Situation UND die Erfassung der Ursachen der Probleme unabdingbar ist. Diese Ursachenanalyse bezieht sich naturgemäß auf die Vergangenheit, denn nur dort – so die gängige Vorstellung – können Daten und Informationen dafür gefunden werden, die für Veränderung relevant sind. Das ist das vorherrschende Paradigma – wo immer Stress, Krisen, Misserfolge bei Produkten, Beziehungsprobleme Erziehungsschwierigkeiten oder was auch immer „behandelt“ werden. Es wird zu Beginn die Analyse der Vergangenheit und dessen, was nicht funktioniert hat, intensiv betrieben.

Durch diese intensive vergangenheitsbezogene Analyse ergeben sich negative Effekte (die auf keinem Beipackzettel stehen):

  • Der Fokus auf die problematische Vergangenheit erzeugt eine „Problem- und Negativitätstrance“, die wenig Optimismus und Energie für Veränderungen liefert.
  • Das, was in der Zukunft passiert wird kaum etwas qualitativ Neues sein, denn es ist eine Anknüpfung und Fortschreibung des Musters der Vergangenheit. Die viel geforderte Musterunterbrechung kann nicht eintreten, denn zuerst werden die Muster der Vergangenheit erfasst und dann in die Zukunft fortgeschrieben.

So kann die Zukunft keine Kraft entfalten, denn es ist eine Zukunft, die aus der Vergangenheit kommt!

Sog zur besser funktionierende Zukunft

Der Potenzialfokus im Coaching verwendet eine Zukunft, die auch wirklich aus der Zukunft kommt! Dafür muss man vom „guten Ende“ her starten (und nicht von Gegenwart oder Vergangenheit). Hier wird die Fähigkeit zur Antizipation des Menschen genutzt, also die Vorstellung und Konstruktion von zukünftigen Möglichkeiten. Diese Konstruktion erfolgt durch die Entwicklung von besser gelingenden Zukünften mit unterschiedlichen Varianten des potenzialfokussierten Future Jumps. Natürlich wird auch die Ausgangssituation besprochen und die konkrete Richtung der erwünschten Veränderung abgeklärt. Jedoch unterbleibt weitgehend die meist lähmende Schleife der Details der Vergangenheit und die Energie zielt unmittelbar ins besser Funktionierende. Dies fördert Optimismus und erzeugt positive Emotionen, denn durch die Fokussierung einer konkreten gelingenden Zukunft werden die dementsprechenden physiologische Prozesse aktiviert, wie Joachim Bauer an der Universität in Freiburg gezeigt hat.

Diese positive emotionale Wirkung wird auch von Coaches und Beratern berichtet, die mehr Leichtigkeit und Zufriedenheit bei sich selber verspüren können. Kein Wunder, denn es wird nicht in den Problemen gewühlt sondern viel mehr über Möglichkeiten des Gelingens gesprochen.

Der Fokus liegt somit in spezifischen Techniken der Erfindung der besser funktionierenden Zukunft und zusätzlich auf den Ursachen, die auf dem Weg von heute zur funktionierenden Zukunft geführt haben. Auch hier erfolgen Analysen und werden Zusammenhänge hergestellt (konstruiert), jedoch hinsichtlich einer besseren Zukunft und der Möglichkeiten der Entwicklung in Richtung eines „Besser“. Mit diesem Fokus wird jemand „in die funktionierende Zukunft“ gezogen (Pull-Prinzip) und nicht aus der Vergangenheit nach „vorne getreten“ (Push-Prinzip). In der Wissenschaft gibt es dafür den Begriff der Finalität, die eine Alternative zum kausalen Denken darstellt.

Damit wird auch dem Bedürfnis von Coachees entsprochen die wichtigen Zusammenhänge bei ihren Themen verstehen wollen (meist um Handlungsmöglichkeiten zu finden). Allerdings wiederum nicht Zusammenhänge von Gegenwart und problematischer Vergangenheit sondern von gelingender Zukunft und der Gegenwart. Genau dies erzeugt den schon angesprochen Sog und den Zug zur besseren Zukunft.

Ein konkretes Beispiel des Starts in ein Coaching soll dies verdeutlichen: Herr M. ist Führungskraft der zweiten Ebene und berichtet über enormen Stress mit zahlreichen klassischen Symptomen. Er berichtet dabei von vielen Problemen und vor allem von seiner  „zunehmenden Gereiztheit“ und „dass die Ziele nicht erreicht werden“ inklusive der Ursachen für diese Probleme (unverständiger Chef, kein Entscheidungsspielraum, permanente Unklarheiten).

Das Potenzialfokussierte Coaching „fokussiert die genannten Themen“ nun direkt von Zukunft her. Nach einer Beschreibung des aktuellen Zustands und der Schwierigkeiten und Probleme erfolgt unmittelbar der Sprung in die Zukunft z.B. mit dem Fokus „Stellen Sie sich vor, die Sache mit dem Stress wird in der nächsten Woche etwas besser, woran werden sie das konkret festmachen, wie wird es sich äußern? Die Antwort ist dann vielleicht „bin gelassener wenn der Chef sich aufführt“ oder „freue mich mehr über die Kleinigkeiten, die mir gelingen“. Nach einer umfassenden Erhebung des „etwas besser Seins“ erfolgt dann die Analyse, wie die/der Betroffene dorthin gekommen sein wird. Damit werden die zukünftigen „Ursachen“ der besser funktionierenden Zukunft erfasst und in den Zusammenhang des „Besserseins“ gestellt (z.B. ich schreibe mir am Abend auf, was auch gut gelaufen ist, ich mache  morgen wieder ein paar Yoga-Übungen“.

Der Zusammenhang von „Problem heute“ und „Ursachen in der Vergangenheit“ ist somit auf der Zeitachse in Richtung Zukunft verschoben. Im Zentrum steht die Wechselwirkung der „etwas besser gelingende Zukunft“ und der „Ursachen“, die ab heute das besser Gelingen beeinflussen.

Dafür sind aber einige „Zutaten“ notwendig, denn Coachees und auch viele Menschen setzen die Fähigkeit zur Antizipation zur Nutzung ihrer Potenziale im Alltag viel zu wenig ein. Dazu zählt vor allen Dingen:

  • Verwenden von anderen und potenzialfokussierten Fragen und Sprachelementen und hier vor allem all jene, die sich an der Zeitform „Futur II“ orientieren
  • Spezifische Techniken zur Entschleunigung des Coachingprozesses
  • Ausreichend Zeit und Unterstützung für die Auslotung des Möglichkeitsraums der Zukunft
  • und last but not least: eine Potenzialfokussierte Haltung.

Besonders wichtig ist dabei ein kontinuierliche Weiterentwicklung und Veränderung der Sprache und der Haltung über einen längeren Zeitraum, damit sich diese in die eigene Praxis integrieren kann.

Weite Bereiche unserer Gesellschaft sind sowohl defizitorientiert als auch vergangenheitsorientiert und diese „Mischung“ lässt sich täglich in der Berichterstattung der Medien, denn alltäglichen Gesprächen und den Beratungsgesprächen beobachten. Diesem Fokus etwas entgegenzusetzen erfordert ein kontinuierliches Dranbleiben bei der Veränderung der eigenen Sprache und der Analysemuster. Es lohnt sich aber. Denn das Potenzial im Coaching und auch sonst in unserer Gesellschaft kommt aus der Zukunft. Dies ist auch die Mission die wir am Potenzialfokus Center verfolgen und in unseren Lehrgängen und Veranstaltungen vermitteln.


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Gastautor

Mag. Dr. Günter Lueger war Universitätsprofessor für Coaching und Personalführung und ist Leiter des Potenzialfokus Centers sowie des Instituts für Potenzialfokussierte Pädagogik.
www.potenzialfokuscenter.at
www.potenzialfokus.at

Literatur

  • Bauer, J.: Selbststeuerung – die Wiederentdeckung des freien Willens, Blessing Verlag 2015
  • Lueger, G.: Das Ende der Diagnose in Veränderungsprozessen: Warum Ist-Analysen Veränderung verhindern, in: Tomaschek, N. (Hrsg.): Systemische Organisationsentwicklung und Beratung bei Veränderungsprozessen, Carl Auer 2006
  • Lueger, G. Die Theorie der Positiven Unterschiede, in: Lueger, G. / Korn, H.P. (Hrsg). Solution Focused Management, Hampp Verlag 2007
  • Lueger, G.: Die Kraft der Zukunft – in Druck
  • Nadin, M.: Anticipation, Lars Müller Publishers 2003

Die Kraft der Zukunft in Coaching und Beratung nutzen

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