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„Segeln lernt man nicht im Sturm“ | Trends in der Personalentwicklung [Teil 1]

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Unternehmen müssen strategisch, strukturell und kulturell passende Rahmenbedingungen schaffen und ihre Führungskräfte auf die aktuellen Herausforderungen vorbereiten. Management Development ist daher bedeutungsvoller denn je! Führung als Profession bedingt daher eine professionelle Aus- und Weiterbildung, wie dies bei Führungskräfteentwicklungs- oder akademischen Weiterbildungsprogrammen (MSc, MBA) der Fall ist.

Autorin: Christine Güttel

Digitalisierung und Globalisierung erzeugen zurzeit großen Druck auf Unternehmen um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Supply Chains werden durch (weitere) technologische Entwicklungen unternehmensübergreifend vernetzt. Vor allem Start-ups wie Uber oder AirBnB bzw. Amazon oder Zalando erzeugen durch die Nutzung digitaler Technologien Brüche im Wettbewerbsumfeld indem sie disruptiv bedeutende Positionen in den Wertschöpfungsketten zwischen Kunden und Produzenten erobern. Hinzu kommt der Druck, kosteneffizient zu agieren oder sehr hohe Qualitätsanforderungen in vielen Bereichen zu erfüllen (z.B. Good Manufacturing Practices). Die Wettbewerbslandschaft ist dynamisch und komplex geworden, wodurch Unsicherheit und Mehrdeutigkeit in den vielen Entscheidungsprozessen entstehen.

Besonders in dynamischen und fallweise krisenanfälligen Wettbewerbsumfeldern zeigt die Forschung, dass Führungskräfte ihre „Dynamic Managerial Capabilities“ (Helfat & Martin 2015), d.h. die individuellen Veränderungsfähigkeiten, veredeln müssen, um schnell passende Entscheidungen treffen zu können. Unternehmen sind gefordert in die Personalentwicklung ihres Führungskaders besonders dann investieren, wenn Zeit für Lernen und Reflexion ist, denn „Segeln lernt man nicht im Sturm“. Die Vernetzung der Weltwirtschaft lässt Verwerfungen rasch zu globalen Unternehmenskrisen ausufern. Eine handlungsfähige Führungsmannschaft ist daher für das Überleben von Unternehmen essentiell. Die gegenwärtige Hochkonjunktur wäre ein Zeitfenster, das genützt werden könnte, um Dynamic Managerial Capabilities bei Führungskräften weiterzuentwickeln,  denn robuste und flexible Führungskräfte ermöglichen organisationale Resilienz. Dynamic Managerial Capabilities beinhalten drei Komponenten, die eine robuste und flexible Organisation ermöglichen: Sensing, Seizing und Reconfiguring (Teece 2007).

Sensing

Sensing beschreibt die Fähigkeiten zur Umfeldwahrnehmung. Darunter ist zu verstehen, wie sensibel Führungskräfte auf verschiedene Entwicklungen in ihren Umfeldern achten und wie sie die mehrdeutigen Signale – starke und schwache – interpretieren: wo sind neue technologische Möglichkeiten, wie könnten Geschäftsmodelle mit disruptiven Charakter in unseren Märkten aussehen, wo sind Anzeichen für Konjunkturabschwächungen, wie wird sich die Konkurrenz entwickeln oder wo können neue Allianzpartner für Forschung & Entwicklung gefunden werden. Sie bekommen im Arbeitsalltag von ihren Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, Netzwerkpartnern aus den Medien oder von anderen Führungskräften im Unternehmen vielfältige Informationen, die sie sinnstiftend verarbeiten müssen. Nur wenn sie sich dieser Rolle ausreichend bewusst sind und auch Zeit und Aufmerksamkeit auf diese Aktivitäten legen, werden sie in der Lage sein, ein facettenreiche Lesart der Chancen und Gefahren in ihren Verantwortungsbereichen erzeugen zu können.

Seizing

Seizing thematisiert die Muster der Entscheidungsfindung von Führungskräften zur Verarbeitung der mehrdeutigen Umfeldsignale. Handlungsfähigkeit erlangen Führungskräfte nur dann, wenn sie in der Lage sind, sich ein Bild – Big Picture – über die Lesart der Informationen und über bestehende Zusammenhänge zu machen. Wie Führungskräfte ihre Entscheidungen – immer unter Unsicherheit und ohne die Möglichkeit vollständiges Wissen über die Entscheidungsgrundlagen oder die Zukunftsentwicklungen zu haben – treffen. Aktuelle Forschungen zeigen, dass dabei das Bauchgefühl in Form von einfachen Heuristiken vielfach strukturierten Planungsversuchen deutlich überlegen ist (Gigerenzer 2008; Sull & Eisenhardt 2015), da darin die Erfahrungen vergangener Entscheidungen gespeichert werden. Besonders in dynamischen und komplexen Umfeldern müssen rasch Entscheidungen getroffen werden, um die Organisation flexibel zu halten und dadurch die Handlungsfähigkeit zu sichern. Allerdings bedarf das Bauchgefühl fallweise einer Reflexion, um sicherzugehen, dass auf die passenden Aspekte geachtet wird und angemessene Handlungen eingeleitet werden (Gruenauer et al. 2018).

Reconfiguring

Reconfiguring dient schließlich dazu, dass die Führungskraft die getroffenen Entscheidungen auch umsetzt und mit den Veränderungsimpulsen Mitarbeiter mobilisieren kann. Wissen über Change Management bildet dazu die Grundlage (Stouten et al. 2018). Das reicht von der Gestaltung von Kommunikationssystemen über die Entwicklung von Projekt- und Veränderungsarchitekturen bis zu allen Prozessen des Personalmanagements (Auswahl, Integration, Performance Management, Entwicklung und Abbau). Denn nur wenn der Veränderungsimpuls von der Führungskraft in die Köpfe und in die Herzen der Mitarbeiter überspringt werden die Veränderungsziele erreichbar.

Die Kunst der Personalentwicklung besteht nun darin, Management Development-Programme zu gestalten, die Führungskräfte in ihrer Effektivität und Agilität stärken, um die Organisation robust und flexibel zugleich zu entwickeln. Daher sind Lernsettings notwendig, in denen Führungskräfte ihre Dynamic Managerial Capabilities weiter veredeln können, um effektivere Entscheidungen zu treffen, ihre Teams zielgerichtet beeinflussen zu können und organisationale Rahmenbedingungen zu gestalten, die eine passende Balance zwischen Effizienz und Flexibilität bzw. zwischen inkrementeller Weiterentwicklung und radikalem Wandel ermöglichen (Güttel 2017). Lernarchitekturen müssen neben der inhaltlichen Weiterentwicklung vor allem die Reflexionsfähigkeit des eigenen bisherigen Führungsverhaltens fördern, denn die gefestigte Führungsidentität ist der Schlüssel zur effektiven Anwendung der inhaltlichen Aspekte.


Fortsetzung folgt

Das war Teil 1. Teil 2 des Beitrags befasst sich im Jänner 2019 mit der inhaltlichen, methodischen und didaktischen Gestaltung von Management Development Programmen zur Unterstützung von Führungskräften in dynamischen und komplexen Unternehmensumfeldern durch passende Lernarchitekturen.


Literatur

  • Gigerenzer, G. (2015). Bauchentscheidungen: die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. C. Bertelsmann Verlag.
  • Gruenauer, J., Güttel, W. H., & Wurmbrand, A. (2018). Simple Rules: Wie sich Unternehmen das Leben einfacher machen können und dennoch effektiver agieren! Zeitschrift für Führung & Organisation, 87(2), 112-120.
  • Güttel, W. H. (2017). Führung und Wandel des Leistungskerns von Organisationen. Güttel, W.H. (Hg.). Erfolgreich in turbulenten Zeiten: Impulse für Leadership, Change Management & Ambidexterity, 19-48.
  • Helfat, C. E., & Martin, J. A. (2015). Dynamic managerial capabilities: Review and assessment of managerial impact on strategic change. Journal of Management, 41(5), 1281-1312.
  • Stouten, J., Rousseau, D. M., & De Cremer, D. (2018). Successful organizational change: Integrating the management practice and scholarly literatures. Academy of Management Annals, 12(2), 752-788.
  • Sull, D., & Eisenhardt, K. M. (2015). Simple rules: How to thrive in a complex world. Houghton Mifflin Harcourt.
  • Teece, D. J. (2007). Explicating dynamic capabilities: the nature and microfoundations of (sustainable) enterprise performance. Strategic Management Journal, 28(13), 1319-1350.

Autorin

„Segeln lernt man nicht im Sturm“ | Trends in der Personalentwicklung

Mag.a Christine Güttel ist Academic Coordinator am Studienbereich Personal & Organisation der FHWien der WKW und leitet als Program Manager das Weiterbildungsprogramm MSc Leadership in Kooperation mit dem Hernstein Institut für Management und Leadership.

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