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Im Tal der Elefantenkurve | Was 20 Jahre Stagnation in Österreich für Ihr Gehaltsmanagement bedeuten

16Dez2025
4 min
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HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

Österreichs Einkommen sind seit 2004 real nicht gestiegen, und das hat dramatische Konsequenzen für Ihre Vergütungsstrategie und Mitarbeiterbindung.

Die Zahlen sind ernüchternd: Trotz nomineller Gehaltssteigerungen von über 60 Prozent haben österreichische Arbeitnehmende in den letzten zwanzig Jahren real keinen einzigen Euro mehr in der Tasche. Diese Stagnation bildet die Erklärung für viele aktuelle Herausforderungen der HR-Führungskräfte bei Recruiting und Bindung qualifizierter Mitarbeitender.

Und überhaupt: Was ist die Elefantenkurve?

Die Elefantenkurve wurde ursprünglich von den Ökonomen Branko Milanović und Christoph Lakner entwickelt, um die globale Einkommensentwicklung zwischen 1988 und 2008 zu visualisieren. Ihr Name kommt von der charakteristischen Form der Kurve:

  • Ein hoher „Rücken“ in der Mitte (die aufstrebende asiatische Mittelschicht)
  • ein Tal bei etwa 80 Prozent (die stagnierende westliche Mittelschicht)
  • und ein steil ansteigender „Rüssel“ ganz oben (der Aufschwung der globalen Elite).

Dieser Trend fand auch nach Abschluss der Studie seine Fortsetzung: Die aktuelle Auswertung der Einkommensdaten von 2004 bis 2024 sieht Österreich im Tal der globalen Elefantenkurve.

Die drei Einkommensklassen und ihre unterschiedlichen Realitäten

In Österreich offenbart die Analyse drei klar unterscheidbare Gruppen mit jeweils eigener wirtschaftlicher Realität.

  • Die untersten 30 Prozent der Arbeitnehmenden beziehen über 60 Prozent ihres verfügbaren Einkommens aus staatlichen Transferleistungen. Ohne diese Umverteilung wären ihre Einkommen real sogar deutlich gesunken. Für diese Gruppe sind sichere Beschäftigungsverhältnisse oft wichtiger als maximale Gehaltserhöhungen.
  • Die mittleren 50 Prozent bilden das Rückgrat der Wirtschaft und erleben die Stagnation am deutlichsten. Sie verdienen zu viel für substanzielle staatliche Transfers, aber zu wenig für nennenswerte Vermögenserträge. Ihre realen Einkommen sind über zwanzig Jahre um null Prozent gewachsen. Hier liegt das größte Frustrationspotenzial und die größte Herausforderung für die Mitarbeiterbindung.
  • Die oberen 20 Prozent tragen die Hauptlast der Umverteilung und finanzieren durch ihre Steuern einen Großteil der Sozialleistungen. Diese Gruppe ist gleichzeitig die mobilste und diejenige mit den meisten internationalen Karriereoptionen.

Die Retention-Krise in der Mittelschicht

Nach zwanzig Jahren ohne reales Einkommenswachstum ist die Loyalität in den mittleren Einkommensgruppen auf einem historischen Tiefstand. Ein Mitarbeitender mit 50.000 Euro Jahresgehalt hat heute real nicht mehr Kaufkraft als vor zwanzig Jahren, trotz mehrerer Beförderungen und höherer Qualifikationen. Diese Erfahrung führt zu fundamentaler Desillusionierung. Es wirkt so, als ob sich Leistung nicht mehr lohnt und Nichtleistung keine Konsequenzen hat.

Klassische Retention-Instrumente wie kleine Gehaltserhöhungen verpuffen wirkungslos. Die Mitarbeitenden haben gelernt, dass drei Prozent mehr Gehalt bei vier Prozent Inflation real ein Minus bedeuten. Was die Inflation nicht auffrisst, geht als Steuer an den Staat. Stattdessen suchen sie nach alternativen Werten: Sinnstiftende Arbeit, echte Entwicklungsmöglichkeiten und eine Unternehmenskultur, die Wertschätzung nicht nur in Euro misst, werden zu den entscheidenden Faktoren. Die Kunst der modernen Personalarbeit liegt darin, trotz begrenzter finanzieller Möglichkeiten Perspektiven zu schaffen, die über das Gehalt hinausgehen.

Warum Top-Talente zunehmend abwandern

Hochqualifizierte Fachkräfte und Führungskräfte tragen prozentual deutlich mehr Steuern, profitieren aber kaum von staatlichen Leistungen. Wenn sie feststellen, dass ihr Nettoeinkommen trotz hoher Leistung kaum wächst, während in anderen Ländern günstigere Steuermodelle existieren, wird Abwanderung zur rationalen Entscheidung. Ein IT-Spezialist kann remote für ein Schweizer Unternehmen arbeiten und dabei ein deutlich höheres Nettoeinkommen erzielen.

Die Herausforderung für HR liegt darin, trotz dieser Nachteile attraktiv zu bleiben. Erfolgsabhängige Vergütungsmodelle, Aktienoptionen, großzügige Pensionszusagen oder die Übernahme von Weiterbildungskosten können helfen, das Einkommen zu optimieren und echten finanziellen Mehrwert zu schaffen. Topleistende müssen auch top verdienen. Wenn sie abwandern, verliert das System wichtige Nettozahlende, was die Finanzierung des Sozialstaats zusätzlich erschwert.

Was das für Ihre Vergütungsstrategie bedeutet

Die Erkenntnisse erfordern ein grundsätzliches Umdenken. Das traditionelle Modell „Grundgehalt plus Jahresbonus“ reicht nicht mehr aus. Für mittlere Einkommensgruppen sollten Sie den Fokus auf nicht-monetäre Benefits legen. Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice und bessere Work-Life-Balance kosten relativ wenig, haben aber hohen subjektiven Wert. Weiterbildungsangebote und klare Karrierepfade geben das Gefühl von Entwicklung.

Bei Spitzenverdienenden geht es neben einem überdurchschnittlichen, international wettbewerbsfähigen Gehalt um Steueroptimierung und langfristige Bindung. Führen Sie Gehaltsverhandlungen ehrlicher. Statt große nominelle Erhöhungen zu versprechen, sprechen Sie offen über wirtschaftliche Realitäten. Mitarbeitende schätzen Transparenz mehr als leere Versprechungen.

Segmentieren Sie Ihre Belegschaft nach Einkommensgruppen und entwickeln Sie spezifische Maßnahmen. Überarbeiten Sie Ihre Kommunikation bei Gehaltsverhandlungen und sprechen Sie über den Gesamtwert des Vergütungspakets. Investieren Sie in steueroptimierte Benefits wie Jobtickets, Essensgutscheine oder Kinderbetreuungszuschüsse. Diese haben höheren Nettonutzen als entsprechende Bruttogehaltserhöhungen.

Fazit: Die neue Realität im Gehaltsmanagement

Nach zwanzig Jahren realer Stagnation funktionieren klassische Vergütungsstrategien nicht mehr. Die Zukunft des Gehaltsmanagements liegt in Vergütungspaketen, die weit über das Grundgehalt hinausgehen. Benefits, Flexibilität, Entwicklungsmöglichkeiten und eine wertschätzende Unternehmenskultur werden zu den entscheidenden Faktoren, um auch in Zeiten der Stagnation ein attraktiver Arbeitgebender zu bleiben.

Im Tal der Elefantenkurve | Was 20 Jahre Stagnation in Österreich für Ihr Gehaltsmanagement bedeuten

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