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Ein „spitzer“ Blick ins menschliche Gehirn

02Jul2013
5 min
Spitzer menschliches Gehirn

HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

Veranstaltungs-Bericht

„Hirnforschung für Führungskräfte“, Business Circle, 26juni2013

Haben Sie Prof. Manfred Spitzer schon erlebt, wenn er über Gehirnforschung erzählt? Hier können Sie die Highlights der Veranstaltung von Business Circle nachlesen!

 

Routiniert und mit einer eindringlichen Präsenz steht Prof. Dr.Dr. Manfred Spitzer (Foto unten) vor der Gruppe aus rund siebzig Führungskräften. Die von Business Circle professionell organisierte Veranstaltung „Hirnforschung für Führungskräfte“ am 26juni2013 im Parkhotel Schönbrunn ist definitiv ein Erfolg. Selbst in der sechsten Vortragsstunde bleiben die Teilnehmer an seinen Lippen hängen. Viele lebendig und pointiert erzählte Experimente und Forschungsergebnisse sowie das flexible Eingehen auf die vielen Fragen der Führungskräfte macht’s möglich, dass unser Hirn dann immer noch lernen kann und will…

Haben Sie Stress? Echten? Mal sehen…

Stellen Sie sich vor, Sie sind mal kurz eine Ratte. Sie befinden sich in einem Käfig mit einem Metallgitterboden und gleich daneben gibt es noch so einen Käfig und da ist auch eine tolle Ratte drin. Beide Käfige haben eine Stromzuleitung, die zur gleichen Zeit und im gleichen Ausmaß unangenehme Stromstöße in beide Käfigböden leitet. Immer wieder mal, zufällig. So, in einem der beiden Käfige gibt es da jetzt ein Lämpchen, das aufleuchtet bevor der Stromstoß kommt und einen Hebel, auf die Ratte leicht drücken kann. Wenn sie das gleich nach dem Aufleuchten tut, kommt kein Stromstoß. Meistens schafft sie es, aber manchmal ist sie zu langsam.

Welche von beiden Ratten möchten Sie jetzt sein – die ohne Hebel/Lämpchen oder die mit Hebel/Lämpchen (Ich weiß schon, gar keine, aber mal angenommen…)? Und welche Ratte hat Stress? Warum?

Man könnte vielleicht meinen, die Ratte, die ständig auf der Hut sein muss und aufpassen muss, ob das Lämpchen leuchtet, hat Stress. Aber nein. Sie ist konzentriert und hat die Dinge mehr oder weniger im Griff und wenn nicht, dann weiß sie auch warum. Weil sie eben mal zu langsam war. Stress – d.h. massive Ausschüttung von Stresshormonen – hat die Ratte, die in dem anderen Käfig sitzt und einfach irgendwann Stromstöße bekommt, ohne dass sie weiß, wann und ohne dass sie etwas dagegen unternehmen kann.

Stress heißt also das Fehlen von Handlungskontrolle! Nicht „einfach“ das „viel zu tun haben“!  Auch nicht das Ärgern oder andere Dinge, die wir mit Stress betiteln. Solange Sie selbst Handlungsmöglichkeiten haben, haben Sie physiologisch keinen echten Stress. Sondern nur etwas, das Sie so nennen…

Lebenslanges Lernen? Bitte bis spätestens 17…

Wenn wir unser Gehirn einsetzen, dann lernt es täglich. Konkret bedeutet lernen, das Bilden und auch Abbauen von Synapsen d.h. der Verbindungen zwischen den Nervenzellen. So werden starke und schnelle Verbindungen zwischen Inhalten aufgebaut, die wir oft brauchen und andere wieder abgebaut, die wir nicht mehr nutzen. Es wächst also nicht das Gehirn als Ganzes (wohin auch…) sondern es wird dichter und besser „verdrahtet“. Und es verhält sich wie eine „paradoxe Schuhschachtel“, wie Prof. Spitzer es nennt. Wenn die Schachtel halbvoll ist, dann passt nicht mehr nur noch eine Hälfte rein, sondern: Je mehr schon drin ist, desto mehr passt rein! Je mehr man bereits weiß, desto leichter und schneller lernt man Neues dazu, weil nur leichte Anpassungen in den Verknüpfungen notwendig sind, die Strukturen sind ja schon da. Die fünfte Fremdsprache geht daher ganz leicht und das sechste Musikinstrument auch 😉

Grafik Gehirnentwicklung Spitzer

Und lebenslanges Lernen? „Ja!“ sagt Prof. Spitzer, „aber sorgen Sie bitte bis 17 dafür, weil sonst wird das nichts mehr!“  Je mehr unser Gehirn gewöhnt ist gefordert zu werden, desto leichter fallen Lernprozesse bis ins Alter. Umso wichtiger sind die Bildungsinvestitionen in die Kinder und Jugendlichen, ist Spitzer überzeugt. Die folgende Abbildung zeigt einen Überblick zu einer Reihe an Forschungsergebnissen: Welche Aktivitäten verbessern unsere Gehirnleistung und welche schränken sie deutlich ein?

Abbildung: Positive und negative Einflüsse auf die Gehirnentwicklung

 

Von Geld, Einsamkeit und Geschlechterunterschieden: Ausgewählte Wissensleckerbissen…

Sie können sich vorstellen, dass man in sechs Stunden viele, viele Wissenseinheiten weitergeben kann. Folgende fand ich besonders spannend…!

  • In Experimenten wurde subtil eine „Bahnung“ zum Thema Geld hergestellt, indem z.B. die einen Versuchspersonen vor einem Poster mit Geldscheinen sitzen und die anderen vor einem Poster mit Blumen. Die unbewusst zum Thema Geld „aktivierten“ Teilnehmer brauchten im folgenden Experiment doppelt so lange, bis sie jemand um Hilfe baten; spendeten nur die Hälfte und setzten sich in einem doppelt so großem Abstand zu einer zweiten Person hin. Fazit: Geld schafft soziale Distanz zwischen Menschen! Spitzer meint dazu: „Geld macht einsam und selbstzentrierter. Wir sind aber Gemeinschaftswesen, das geht gegen unsere Natur!“
  • Apropos Einsamkeit. Ein spannender Befund der bildgebenden Verfahren ist, dass dieselbe Hirnregion, die bei Schmerz aktiv ist, auch aktiv ist, wenn wir sozial ausgegrenzt werden. Einsamkeit und Schmerz setzt unser Gehirn also gleich. Beide sind fürs Überleben wichtig. „Mach schnell etwas anders, sonst bist du bald tot“ gilt also genauso für die Hand auf der Herdplatte als für soziale Ausgrenzung und Einsamkeit.
  • Eindeutige Geschlechterunterschiede gibt es laut Prof. Spitzer wenige. Die Sprache bzw. Sprachzentren und die Empathie. In einem Experiment wurde die Gehirnaktivität von Männern und Frauen aufgezeichnet, während eine von ihnen positiv bewertete Person („Freund“) und eine negativ bewertete Person („Feind“) einen Stromschlag auf die Hand bekam. Was passierte im Kopf der Zuschauenden? Frauen leiden mit. Beim Freund, aber auch – etwas schwächer – beim Feind. Die Männer hingegen fühlen beim Feind keinerlei Schmerz mit. Im Gegenteil: das Glückszentrum wird aktiviert. Schlussfolgerungen über den Sinn dieses evolutionären Unterschiedes dürfen Sie selbst ziehen 😉

Digitale Demenz – bringen wir uns mit den neuen Medien um den Verstand?

Am Ende des Vortragstages stand ein Thema, für das Prof. Spitzer (Foto) besonders nachdrücklich eintritt: Den negativen Einfluss der neuen Medien auf die Gehirnentwicklung v.a. der jungen Generation. Entgegen vielfach auch öffentlicher Bewerbung von Computerspielen und der Verwendung von Internet & Co im Sinne von „neuen Schlüsselkompetenzen“ zeigt Prof. Spitzer, dass diese Empfehlungen nicht haltbar sind. Im Gegenteil – er vermittelt eindringlich welche negativen Effekte die hohe Mediennutzungsrate bei den Kindern und Jugendlichen hat. Forschungsergebnisse, die so noch niemand gesammelt hat.

HRwebEr zitiert aus einer amerikanischen Studie: „Mit einer Playstation für Grundschüler verschenken Sie Schulprobleme und schlechtere Schulleistungen und das in nur vier Monaten!“ Fernsehkonsum von mehr als drei Stunden pro Tag erhöht die Kriminalitätsrate signifikant und verdoppelt in etwa die Anzahl von Schulabbrechern. Universitätsabschluss? Die Rate verringert sich auf ca. ein Viertel im Vergleich zu Schülern mit weniger als eine Stunde TV-Konsum pro Tag. Um diese Langzeitaussagen zu tätigen, wurde letztere Studie bereits in den Siebziger-Jahren gestartet. Umso dramatischer die Aussicht, wenn man bedenkt, dass heute 14-jährige deutsche Schüler im Durchschnitt 7 Stunden und 14 Minuten pro Tag technische Medien nutzen (TV, DVD, chatten, Computerspiele)!

Die angesprochene Schlüsselkompetenz ist wohl vielmehr der verantwortungsvolle Umgang mit diesen Medien und die Bereitschaft, uns bei unseren Kindern zu deren Wohl auch entgegen ihrer sozial beeinflussten Wünsche ein- und durchzusetzen.


Buchtipp:

Manfred Spitzer (2012) „Digitale Demenz – Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“ Verlag Droemer

Veranstaltungstipp:

Business Circle veranstaltet einen weiteren Tag mit Prof. Manfred Spitzer am 20nov2013.

Ein „spitzer“ Blick ins menschliche Gehirn

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