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Barrierefreiheit – mehr als die Rampe vor der Türe

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Gegen Anfang des Jahres herrschte Aufregung. Nach einer langen Übergangsfrist, die Österreichs Wirtschaft gekonnt verschlafen hat, sollten seit 1jan2016 Waren und Dienstleistungen tatsächlich barrierefrei angeboten werden. In der Praxis wurde dies meist mit der Notwendigkeit des barrierefreien Zugangs zu Gebäuden übersetzt. Tatsächlich ist das aber nur ein Teil von Barrierefreiheit. Denn eine solche geht noch viel weiter. Und sie sollte eigentlich für alle Unternehmen interessant sein.

Was soll alles barrierefrei sein?

Schon die Österreichische Verfassung legt fest, dass niemand aufgrund seines Alters, Geschlechts, seiner Herkunft, Religion oder aufgrund einer Behinderung unmittelbar oder mittelbar benachteiligt werden darf. Gerade in Zeiten des Diversity Management sind viele dieser Aspekte auch in den Betrieben in den Fokus gerückt.

Für Menschen mit Behinderung ist diese Gleichstellung seit 2006 spezifiziert: Barrierefreiheit wird dabei definiert als Zugänglichkeit oder Nutzungsmöglichkeit von Infrastruktur, Information und Dienstleistungen. Deren Nutzung soll also ohne Erschwernis und grundsätzlich ohne Hilfe möglich sein.

Barrierefreiheit – räumlich / baulich

Üblicherweise wird „barrierefrei“ mit räumlicher/baulicher Barrierefreiheit gleichgesetzt. Diese umfasst u.a.:

  • Zugang zu Gebäuden bzw. deren Erreichbarkeit
  • Fortbewegung innerhalb von Gebäuden
  • Orientierung, also Hinweise, Schilder, usw.
  • entsprechende Sanitäreinrichtungen, etc.

Barrierefreiheit – Dienstleistungen & Informationen

Blickt man aber auf den zweiten Aspekt, jenen der Dienstleistungen und Informationen, dann gibt es hinsichtlich „barrierefrei“ noch ganz andere Ansatzpunkte: Zum Beispiel:

  • Gestaltung von Webseiten (Größenverstellbarkeit, Vorlesemodus, Leicht lesbare Sprache, …)
  • Gestaltung von Informationsbroschüren (Bild- und Textprache, leicht lesbar, Versionen zum Hören, …)
  • Kommunikation (zB nebengeräuschfreie Vorträge, Induktionsschleifen, …)
  • Höhenverstellbare oder angepasste Geräte (zB Bankomaten, Selbstbedienungsgeräte, Automaten, …)

Barrierefrei. Warum der ganze Aufwand?

Oft wurde seitens der Unternehmen ein Bemühen um eine bessere Barrierefreiheit mit dem Argument „das rechne sich nicht“ abgetan. Nun ja, sieht man sich die nackten Zahlen an, dann sprechen diese eine andere Sprache:

Bei einer umfangreichen Befragung für den Behindertenbericht 2008 durch das Bundesministerium gaben 20,5% (!) an, eine dauerhafte Beeinträchtigung zu haben. Rechnet man das auf die Österreichische Bevölkerung hoch, dann sind das 1,7 Millionen Menschen. Etwa 7% (hochgerechnet 580.000) gaben an, sogar zwei oder mehr Beeinträchtigungen zu haben. Diese teilen sich dabei folgendermaßen auf:

  • 13% (hochgerechnet 1 Million)  – Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates
  • 7% (hochgerechnet 580.000) – chronische Beeinträchtigungen (zB chronische Schmerzen, Diabetes, Bluthochdruck, Astma, Allergien, …)
  • 3,9% (hochgerechnet 300.000) – dauerhafte Probleme beim Sehen (trotz Sehhilfe)
  • 2,5% (hochgerechnet 195.000) – dauerhafte Hörbeeinträchtigung
  • 1% (hochgerechnet 85.000) – geistige Beeinträchtigungen / Lernprobleme
  • 0,75% (hochgerechnet 63.000) – Probleme beim Sprechen
  • 0,6% (hochgerechnet 50.000) – Rollstuhl für Fortbewegung

Unser gängiges Bild des Rollstuhfahrers, das meist für die Verbildlichung von Menschen mit Behinderung herangezogen wird, ist nur ein kleiner Teilaspekt. Gerade einmal 50.000 in einer Menge von 1,7 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen.

Was bedeutet das also für Unternehmen?

Für Unternehmen sollte klar sein, dass sich das Thema Menschen mit Behinderung auch, aber nicht ausschließlich, um Anpassungen für Menschen im Rollstuhl handelt. Wenn die Zahl von rund 20% hochgerechnet stimmt, dann bedeutet das auch, dass jede und jeder Fünfte im Betrieb von einer Beeinträchtigung betroffen ist.

Problematisch ist, dass leider immer die Definition des „begünstigen Behinderten“, für den es ab 25 Mitarbeitern eine Einstellungsverpflichtung oder Verpflichtung zur Zahlung einer Ausgleichstaxe gibt, herangezogen wird. Entsprechend konzentrieren sich – wenn überhaupt – alle Bemühungen auf diese Gruppe. Dabei gibt es zahlreiche andere Beispiele, wie Unternehmen auch für die bestehende Belegschaft mit und ohne Behinderung etwas Gutes tun kann. Zum Beispiel:

  • Höhenverstellbare, individuell anpassbare Arbeitsplätze, um Abnützungen zu vermeiden und physische Unterschiede zu berücksichtigen
  • Unternehmenskommunikation in leicht lesbarer Form (sowohl optisch als auch hinsichtlich der Aufbereitung)
  • Anpassung der Betriebsküche an diverse Unverträglichkeiten und Allergien und entsprechende, proaktive Kennzeichnung.
  • Bereitstellen aktustischer Informationen sowie tastbarer (taktiler) Bodenleitsysteme
  • Klare Kennzeichnung von Glaswänden, Stufen, usw.
  • Induktive Höranlagen für Träger von Hörgeräten
  • Vermeidung von Nebengeräuschen und Störgeräuschen in Büroräumen
  • Leicht erreichbare Bedienelemente und berührungslose Türen

Natürlich wird die vollständige, für alle Gruppen passende Barrierefreiheit nicht zu 100% zu erreichen sein. Allerdings lassen sich mit ein wenig Beschäftigung in jedem Betrieb zahlreiche Ansatzpunkte finden, die es Mitarbeitern mit und ohne Behinderung im Alltag leichter machen.

Barrierefreiheit – mehr als die Rampe vor der Türe

Mag. (FH) Peter Rieder | Teil unseres fixen Autoren-Teams

Mag. (FH) Peter Rieder ist Gründer der Arbeitswelten Consulting sowie geschäftsführender Gesellschafter des Diversity Think Tank Austria und begleitet Unternehmen in den Themen Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Audit berufundfamilie), Diversity Management und nachhaltiges Personalmanagement.

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