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Interkulturalität & interkulturelle Diversität 1: Nutzen von Bikulturalität im Arbeitsalltag

16Mai2024
5 min
Interkulturalität, interkulturelle Diversität

HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

Im Arbeitsalltag heute begegnen uns immer mehr Menschen, die bikulturell und mehrsprachig sind. Welchen Vorteil hat Bikulturalität im Beruf? Wird Interkulturalität von Unternehmen genutzt und als Ressource gesehen? Genau diese interkulturelle Seite soll im Folgenden näher betrachtet werden.

Autorin: Dr. Karin Schreiner ist interkulturelle Consultant und Coach (www.iknet.at)

Interkulturelle Kompetenz ist die Antwort auf die Internationalisierung, ermöglicht es uns, den multikulturellen Alltag zu meistern und die Vorteile kultureller Diversität zu nutzen.

Interkulturalität und im speziellen Bikulturalität:

Was ist Bikulturalität?

Wer sind Menschen, die bikulturell sind? Damit werden Menschen bezeichnet, die in zwei oder mehr Kulturen leben und auch die jeweiligen Sprachen sprechen. Bikulturelle Menschen können Einwanderer, Flüchtlinge, ethnische Minderheiten oder gemischt-ethnische Menschen sein. Menschen, deren Eltern verschiedenen Kulturen angehören und unterschiedliche Muttersprachen haben; Menschen, die ausgewandert, migriert oder geflüchtet sind; deren Lebensmittelpunkt sich dauerhaft vom Heimatland in ein anderes Land verschoben hat und die sich dort ein neues Leben aufgebaut haben.

Die Hintergründe für eine Verschiebung des Lebensmittelpunkts in ein anderes Land sind ebenso vielfältig wie die Biografien interkulturellen Menschen.

Was zeichnet bikulturelle Menschen aus?

Bikulturelle Menschen leben in zwei Kulturen. Sie lernen, zwischen ihren Kulturen sprachlich und auf der Verhaltens- und Werteebene hin und her zu wechseln.

In der Literatur spricht man von cultural frame switching – Wechseln der kulturellen Referenzrahmen.

Ein kultureller Referenzrahmen bezeichnet eine Kultur oder, korrekter, einen kulturellen Kontext, der einem vertraut ist und in dem jene Vereinbarungen, Umgangsformen und Regeln, die in einer Gruppe oder Gesellschaft als angemessen erachtet werden, bekannt sind. Das Wechseln der sogenannten kulturellen Codes erfolgt je nach Situation und Kontext: in Gesprächen, ja innerhalb eines Satzes oder bei der Beschreibung von beliebigen Sachverhalten.

Bikulturelle Menschen können auf kulturelle Unterschiede aus der Vogelperspektive schauen und beschreiben sie so: „Dort verhalten wir uns so, hier so. Dort wird von den Vorgesetzten Respekt eingefordert, hier begegnen wir uns alle auf Augenhöhe.“ Sie haben gelernt, in ihrem Lebens- und Berufsalltag mühelos zwischen zwei kulturellen Referenzrahmen hin und her zu wechseln.

Diese Fähigkeit fördert Flexibilität im Denken und ermöglicht, Sachverhalte oder Zielvorgaben unter verschiedenen Blickwinkeln zu sehen und zu beurteilen. Aus jeder Perspektive können Vor- und Nachteile klar erkannt werden.

In Studien wird darauf hingewiesen, dass der Wechsel meistens problemlos vor sich geht bzw. sogar automatisiert ist: Je nach Kontext bezieht man sich auf den einen oder anderen kulturellen Kontext und verhält sich entsprechend der Erwartungen oder kulturellen Vorgaben einmal so, einmal anders.

Und bikulturelle Menschen können noch etwas: Sie bewerten die Unterschiede nicht, sondern nehmen sie als verschiedene Realitäten wahr.

Worin liegen die Vorteile interkultureller / bikultureller Menschen?

Durch dieses ständige Wechseln zwischen kulturellen Referenzrahmen bilden bikulturelle Menschen ein komplexes Verständnis von Kulturen aus. Kulturelle Eigenschaften oder Vorgaben sehen und verwenden diese Menschen kontextgebunden und verorten sie entsprechend. Kulturell unterschiedliche Werte, Einstellungen, Verhaltensweisen oder Praktiken bringen sie ständig mit dem entsprechenden kulturellen Referenzrahmen in Zusammenhang und aus ihm heraus verstehen und interpretieren sie die jeweiligen Situationen und verstehen sie aus ihm heraus.

Bikulturelle Menschen sind daher die perfekten Brückenbauer zwischen Kulturen. Mit ihrer Fähigkeit, verstehen sie unterschiedliche Lebensweisen und Wertehaltungen und anerkennen selbst widerstreitende Perspektiven auf eine Sache.

In der Literatur nennt man diese interkulturelle Fähigkeit „integrative Komplexität“. In einigen Studien untersuchen die Auswirkungen des ständigen Perspektivenwechsels auf die Denkfähigkeit und Kreativität eines Menschen, und auch in der Folge auf den beruflichen Erfolg. Das ständige Abwägen der Vor- und Nachteile von kulturellen Referenzrahmen führt nicht nur dazu, dass sie unterschiedliche Perspektiven sehen, sondern auch, dass sie in ein kohärentes, harmonisches Ganzes integrieren. Das erfordert eine hohe Denkleistung und wirkt sich positiv auf ein „Out-of-the-Box“-Denken aus.

Studien zu Bi- und Multikulturalität zeigen auf, dass Personen, die divergierende kulturelle Werte und Einstellungen in ihr Bewusstsein und in ihr Denken integrieren können, emotional stabiler sind. Sie erfahren ihre Kulturen nicht als Gegensätze, sondern leben beide und können sich zwischen ihnen mühelos hin- und herbewegen, und letztlich eine Synthese beider Welten leben. Dies hat sehr positive Auswirkungen auf die Integration in einem Einwanderungsland wie Österreich.

Worin liegen die Herausforderungen von bikulturellen Menschen?

Für bikulturelle Menschen ist ihre Interkulturalität ein identitätsbestimmendes Merkmal. Sie sehen die Welt ständig aus mindestens zwei Perspektiven. Das kann auch ein Spannungsfeld sein, wenn widerstreitende Wertesysteme einander gegenüberstehen und man emotional damit nicht zurechtkommt.

Bikulturalität wirft daher auch existenzielle Fragen nach der eigenen Identität auf. In Studien wird betont, dass es zuweilen herausfordernd ist, mit den verschiedenen und teilweise konträren Aspekten der eigenen Identität umzugehen.

Der ständige Wechsel zwischen den kulturellen Referenzrahmen erfordert daher eine emotionale Stabilität. Diese ermöglicht eine meistens spontan eingesetzte Vermischung und Hybridisierung der Kulturen, um die verschiedenen kulturellen Seiten der eigenen Identität auszugleichen und in sich zu integrieren.

In der Literatur wird immer wieder beschrieben, wie wichtig die innere Aussöhnung beider kultureller Referenzrahmen für die Ausbildung einer bikulturellen Identität ist. Die Entwicklung von kulturellem Bewusstsein, das heißt ein bewusstes Wahrnehmen und Benennen der unterschiedlichen kulturellen Referenzrahmen, ist dazu unerlässlich. Die Spannungen, die aus den kulturell unterschiedlichen Referenzrahmen und dahinter liegenden Wertesystemen entstehen können, müssen reguliert werden. Das erfordert zuweilen intensive Reflexionsarbeit und Auseinandersetzung mit sich selbst.

Worin liegen die Vorteile von Interkulturalität im Beruf?

Gerade in einem kulturell vielfältigen Arbeitskontext ist Bikulturalität ein großer Vorteil:

  • Bikulturelle Menschen sind offen für Menschen aus anderen Kulturen.
  • Sie gehen respektvoll mit kulturellen Unterschieden um.
  • Sie haben ein Verständnis für die Komplexität von Kulturen, das heißt der Vielzahl an Kontexten, in denen sich kulturelle Unterschiede zeigen.
  • Sie verfügen über ein komplexes Kulturwissen, das sie weitergeben können.
  • Sie beherrschen den Perspektivenwechsel perfekt und sehen mühelos aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
  • Bikulturelle Menschen entwickeln kulturelle Sensibilität und interkulturelle Kompetenz.

Alle diese Fähigkeiten sind heute klar ein Vorteil in jedem beruflichen Umfeld.

Die zusätzlichen Kompetenzen bikultureller Menschen wie Mehrsprachigkeit, Kulturwissen, Flexibilität kommen in einem beruflichen Kontext nicht immer zum Einsatz. Häufig werden sie von der Umgebung nicht erkannt. Damit gehen wichtige Ressourcen verloren.

Ein berufliches Umfeld, das Vielfalt wertschätzt, zieht Menschen an, die es auch sind. Das ist eine win-win Situation für beide Seiten. Heute wird Vielfalt und Diversität in zahlreichen Unternehmen großgeschrieben. Bikulturelle Menschen können wesentlich dazu beitragen, dass in einem Unternehmen Vielfalt und Diversität positiv besetzt und auf mehreren Ebenen gelebt wird.

Quellen: Interkulturalität & interkulturelle Diversität

Barker Gina, Acculturation and bicultultural integration in organizations: Condition, contexs, and challenges. International Journal of Cross Cultural Management, 2017, Vol. 17(3), 281-304.

Benet-Martínez Veronica et al., Biculturalism and cognitive Complexity. Expertise in Cultural Representations, Journal of Cross-Cultural Psychology, Vol. 37 No. 4, July 2006 386-407

Berry John W., Acculturation, Cambridge Univ. Press 2019

Karjalainen Helena, Cultural identity and its impact on today’s multicultural organizations. International Journal of Cross Cultural Management 2020, Vol. 20(2) 249–262

Tadmor Carmit T. et al., Biculturalism. A Model of the Effects of Second-Culture Exposure on Acculturation and Integrative Complexity. Journal of Cross-Cultural Psychology, Vol. 37 No. 2, March 2006 173-190

Ward Colleen et al., Hybrid and Alternating Identity Styles as Strategies for Managing Multicultural Identities. Journal of Cross-Cultural Psychology 2018, Vol. 49(9) 1402–1439, 2018

Interkulturalität & interkulturelle Diversität 1: Nutzen von Bikulturalität im Arbeitsalltag