Das frische Magazin
für Human Resources
Mayerhofer-Trajkovski
FOW West 2024

Interkulturelle Diversität | Mehrsprachigkeit als Ressource im interkulturellen Arbeitsalltag

28Mai2024
4 min
Mehrsprachigkeit

HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

Wissen Sie, wie viele Ihrer Mitarbeitenden oder Kolleginnen mehrsprachig sind? Englisch als Lingua Franca überdeckt zuweilen die Sprachenvielfalt in einem Unternehmen. Mehrsprachigkeit als Ressource könnte mehr Aufmerksamkeit erfahren. 

Autorin: Dr. Karin Schreiner ist interkulturelle Consultant und Coach (www.iknet.at)

Worin die Vorteile von Mehrsprachigkeit liegen, wird im Folgenden dargelegt.

Mehrsprachigkeit ist heute kein Sonderfall mehr

Im 20. Jahrhundert wurde Mehrsprachigkeit kaum positiv gesehen oder gefördert, sondern eher als Sonderfall eingestuft. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Forschung zur Mehrsprachigkeit sehr entwickelt. Heute werden Sprachen nicht mehr als voneinander abgrenzbare Bereiche gesehen. Man erkannte, dass sich Sprachen immer auf unterschiedliche geografische, soziale und historische Kontexte beziehen. Selbst beim Sprechen von nur einer Sprache praktizieren wir eine Vielfalt an Ausdrucksformen, die sich in verschiedenen Stilen, Höflichkeitsformen, Dialekten oder Jargons niederschlagen. Wir beziehen uns dabei jeweils auf unterschiedliche Kontexte und dieser Wechsel geschieht mühelos, ohne dass uns das bewusst ist.

Sprachen Switchen

Mehrsprachigkeit ist gerade bei bikulturellen Menschen eine Normalität. Wächst man mit zwei oder drei Sprachen auf, so lernt man außerdem früh, zwischen diesen Sprachen – und damit auch Kulturen – mühelos hin und her zu switchen, ja oft innerhalb eines Satzes. Dieses ständige Switchen von Sprachen ist eine besondere Leistung des Gehirns.

Individuell werden Sprachen mitunter als unterschiedliche Welten erlebt, wie etwa Muttersprache versus Bildungssprache. Dann wird unterschiedliches Vokabular in den jeweiligen Sprachen entwickelt. Zuweilen wird in der einen Sprache extra nach Worten gesucht oder nur in der anderen Sprache gefunden. Häufig besteht in der Bildungs- oder Arbeitssprache ein größerer spezifischer fachlicher Wortschatz.

Es kommt auch vor, dass es leichter fällt, in Muttersprache Emotionen auszudrücken, für die in der Bildungssprache spontan die Worte fehlen können.

Sprachen als Zugehörigkeit

Mehrsprachigkeit ist aus der Sicht der Sprachbiografie in Zusammenhang mit Migration und Mobilität interessant. In diesem Zusammenhang geht es häufig um Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen aufgrund von Sprachkenntnissen, Akzenten oder Dialekten. Mehrsprachigkeit wird daher nicht immer als Mehrwert gesehen.

Mehrsprachige Menschen weisen mehrfach darauf hin, wie im Zuge von Migration die Schwierigkeit des Ankommens und des Sich-ausgeschlossen-Fühlens in einem neuen Land durch die Unkenntnis oder mangelnde Kenntnis der Landessprache noch unterstrichen wurde. Das kann insofern zum Verstummen oder Sich-Zurückziehen der Betroffenen führen, aus Angst negativ aufzufallen. Selbst später, bei gut entwickelten Sprachkenntnissen, kann das Gefühl bestehen bleiben, sich nicht gut genug ausdrücken zu können. Man fühlt sich vor der Mehrheitsgesellschaft unsicher und möchte vermeiden bloßgestellt zu werden.

Mehrsprachigkeit in Teams: Lösungen?

In interkulturellen Teams werden meistens mehrere Sprachen gesprochen. So kann es zur Gruppenbildung auf Basis einer gemeinsamen Sprache kommen. Ein häufig auftretendes Thema im Kontext von Organisationen, in denen neben der Mehrheits- oder Unternehmenssprache die Belegschaft auch andere Sprachen spricht. Man fühlt sich rasch ausgeschlossen, wenn nicht alle Beteiligten eine Sprache verstehen.

Kulturelles Bewusstsein in Bezug auf Sprachen ist in diesem Kontext äußerst wichtig, um andere nicht auszuschließen. Ich empfehle, darauf besonders zu achten und in besonderen Fällen eine Person zu beauftragen, die übersetzt oder die Brücke zwischen den Sprachen schlägt. Sonst kann es zu Spannungen in einem Team kommen.

Prestige von Sprachen

Manche Sprachen sind positiv konnotiert, andere negativ. Abwertungen von Sprachen stehen in einem historischen Kontext. In der Literatur wurde aufgearbeitet, welche Machtstrukturen am Werk sind, wenn es um Bedeutung und Anerkennung von Sprachen geht. Das Erbe des europäischen Kolonialismus ist die Verbreitung von Englisch, Französisch und Spanisch in den ehemaligen Kolonien bis heute. Leider fielen viele lokale Sprachen diesem Prozess zum Opfer. Oder es fehlt an Wissen, dass man in Ländern wie z.B. Indien oder Pakistan oder in afrikanischen Ländern eine Vielzahl von Sprachen spricht, oft innerhalb einer Familie.

Englisch gilt heute global als die am höchsten bewertete Sprache.

Mangelnde Kenntnisse der Muttersprache

Wie mit Mehrsprachigkeit und der Bedeutung der Muttersprache in der Migration umgegangen wird, ist sehr unterschiedlich. Wird die eigene Muttersprache von der Mehrheitsgesellschaft minder bewertet, fehlt die Motivation, sie gut zu beherrschen und sie auch in der Schriftsprache zu erlernen. Darüber hinaus mangelt es aufgrund gesellschaftspolitischer Entscheidungen an formalen muttersprachlichen Unterricht in der Schule. Dabei ist erwiesen, dass eine gute Kenntnis der Muttersprache den Boden für den weiteren Spracherwerb bildet.

Fremdsprache Deutsch

Die Angst sich zu blamieren, den Erwartungen nicht zu entsprechen, nicht gut genug zu sein, kann dazu führen, dass man sich zurückzieht oder sich ganz besonders anstrengt, um den Mangel auszugleichen.

Das Phänomen des Verstummens oder des so genannten „Selbstsilencing“ wird immer wieder angesprochen: eigentlich selbstbewusste Menschen, die gern an Diskussionen teilhaben und sich aktiv in der Gemeinschaft einbringen, ziehen sich zurück, da sie aufgrund ihrer sprachlichen Defizite nicht auffallen wollen.

Es kommt auch vor, dass genau diese Personen dann die Mehrheitssprache – oder bei uns Deutsch – bis zur Perfektion lernen. Ein Thema, das auch bei Schriftstellern vorkommt, die in der Migration oder im Exil nach einiger Zeit in der neu erworbenen Sprache schreiben.

Schlussfolgerungen zu Mehrsprachigkeit

  • Mehrsprachigkeit ist im Arbeitskontext eine Ressource und darf mehr genutzt werden
  • Sprachen Switchen ist Ausdruck einer besonderen Gehirnleistung
  • Bei Personen, von denen bekannt ist, dass sie mehrsprachig sind und die sich selten bei Diskussionen beteiligen, kann man durch Ermutigungen und positive Unterstützung ihr Selbstbewusstsein in Bezug auf ihre Mehrsprachigkeit stärken
  • Mehrsprachigkeit im Team – mehrere Sprachen dürfen gesprochen werden, wenn es so genannte Brückenbauer gibt, die übersetzen und den Kommunikationsflow im Team aufrechterhalten
  • Alle Sprachen sind gleich wertvoll, auch wenn sich Englisch als Lingua Franca global durchgesetzt hat

Quellen

  • Akseki Vefa, Aspekte der Herausbildung individueller Einstellungen zu Sprachen. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 88, 2021/1–2, 124–142
  • Brigitta Busch, Mehrsprachigkeit, 2013
  • Silvia Hahn, Historische Migrationsforschung, 2023
  • Oliver Gruber/Michael Tölle (Hg.), Fokus Mehrsprachigkeit. 14 Thesen zu Sprache und Sprachenpolitik. Beiträge aus Österreich und Europa, 2022
Interkulturelle Diversität | Mehrsprachigkeit als Ressource im interkulturellen Arbeitsalltag