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HR muss weg! | Ein Gedanken-Experiment

3Sep2025
5 min
HR muss weg

HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

„Personaler abschaffen: Gebt den Managern die Macht über ihr Team!“, las ich Mitte Juli in der Wirtschaftswoche.

Weg mit den HR-Abteilungen und alle HR-Agenden den Führungskräften umhängen? Mein erster Gedanke war „so ein Schwachsinn“ und tat es als unwichtig ab.

Doch das Thema ließ mich nicht los und als es das dritte Mal durch mein Hirn huschte, hielt ich es fest und fügte dem

  • ersten Gedanken „so-ein-Schwachsinn“, einen
  • zweiten hinzu: Es muss doch EINE Stelle geben, die das Wissen hat und in der das Wissen zusammenfließt. Wenn die HR-Aufgaben von den einzelnen Führungskräften übernommen werden, müssen a) diese das HR-Wissen aufbauen (jippie, die werden sich freuen) und b) muss es eine Stelle geben, an der das Wissen zusammenfließt. Andernfalls müsste jede Führungskraft das Rad für sich selbst neu erfinden.

Der Ursprungs-Artikel

„Gebt den Managern die Macht über ihr Team“, HR sei überflüssig, schreiben Julian Kirchherr und Cawa Younosi in der WirtschaftsWoche (14juli2025, www.wiwo.de/…), die über eine Zukunftsvision für HR diskutieren, in der die klassische Personalabteilung obsolet wird.

Die Meinung der beiden Herren im Artikel: Führungskräfte sollen künftig mehr Verantwortung übernehmen. Nämlich für alle bisherigen HR-Aufgaben: Personalentscheidungen, Recruiting, Personalentwicklung, Onboarding, etc. HR ist somit überflüssige Zwischeninstanz.

Nicht nur überflüssig, sondern auch zu „langsam, zu bürokratisch – und überhaupt: mit zu wenig Verständnis für das eigentliche Geschäft.“ Und deshalb sei HR der Bereich im Unternehmen mit dem oft geringsten Ansehen. Die Unbeliebtheit allerdings ist ein Diskussionsthema für ein andermal. Bleiben wir dabei, HR abzuschaffen.

Ist der Artikel aus reißerischen Gründen geschrieben, um die Zahl der Leser zu maximieren? Nein, es geht um „NO HR“, d.h. um die strikte Reduzierung von HR, um die Zusammenlegung von Prozessen und um die weitgehende Digitalisierung von sinnvollen Abläufen. Lesen Sie rein, es ist wirklich interessant!

Gedanken-Experiment

Lassen wir uns mal auf das Gedankenspiel ein: „Weg mit HR“.

Auch wenn mein HR-Herz laut ruft „nein, HR wird nie nicht nie überflüssig werden“, können wir uns ja mal experimentell durchspielen.

Und was wäre, wenn … HR tatsächlich wegfällt?

Klar: Führungskräfte übernehmen Recruiting, Onboarding, Entwicklung, Feedback. Alles selbst, alles dezentral, alles schlank. Digitalisierung, KI, smarte Tools machen es möglich. Die Vision: HR als Verwaltungshindernis wird eliminiert, was bleibt, ist pure Führungsverantwortung.

Ehrlich gesagt: Ein bisschen spannend klingt das schon.

Aber genauso ehrlich: Ein bisschen gefährlich ist es auch.

Denn selbst wenn Führungskräfte ihre Teams besser kennen als Personalisten und Personalistinnen, Tools schneller matchen und Algorithmen besser scannen. Dennoch gibt es gute Gründe, warum HR nicht aussterben wird. Nicht, weil wir nostalgisch sind. Sondern weil es schlicht Sinn macht.

Spielen wir es mal durch

1. Onboarding: Wer übernimmt es?

Stellen wir uns vor: Jede Führungskraft entwickelt ihren eigenen Onboarding-Prozess. Die eine mailt am ersten Tag einen 20-seitigen PDF-Leitfaden. Der nächste vergisst, den Laptop zu ordern. Die dritte stellt in Woche zwei fest, dass das Teammitglied noch keinen Systemzugang hat.

Die Folge (in my humble opinion): Chaos. Ressourcenverschwendung. Frust. Keine Corporate Linie. Keine Wissens- und Tool-Weitergabe. Nicht schlank und hip, sondern das selbe Rad muss immer wieder neu erfunden werden.

2. Arbeitsrecht ist keine Nebenrolle

Gesetze, Richtlinien, Compliance. All das lässt sich nicht einfach „mitmachen“. Und ja: Es gibt KI-Tools, die dabei unterstützen. Aber wer übernimmt die Verantwortung, wenn’s knallt? Wenn ein KI-Filter diskriminiert? Wenn bei einer Kündigung Fristen falsch laufen?

Für Rechtliches muss einfach die nötige Grundlage vorhanden sein. Ich sage nicht, dass Führungskräfte das per se nicht könnten. Doch ich sage, dass sie es nicht nebenbei machen sollten. Und dass sie es nicht können müssen sollten (sorry für den Satz).

3. Talententwicklung braucht Überblick, nicht Einzelmeinung

Klar, Führungskräfte kennen ihre Leute und wissen genau, wer im Team welche PE-Maßnahme benötigt. Aber wer hat den Blick über Teams hinweg? Wer erkennt, ob jemand besser in einem anderen Bereich aufgehoben wäre? Wer plant strategisch mit Zahlen, Daten, Zukunftsszenarien?

4. Kulturpflege ist kein Feelgood-Programm

Kultur entsteht nicht zufällig. Sie wird bewusst gestaltet. Durch Feedbackprozesse, Kommunikation, Wertearbeit. KI liefert dazu Daten. Aber: Ohne Interpretation bleibt das ein Dashboard ohne Seele.

Wir brauchen jemanden, um Zahlen in Maßnahmen zu übersetzen. Um Räume für Austausch zu schaffen. Und dafür zu sorgen, dass sich Unternehmens-Kultur in die richtige Richtung bewegt. Das kann KI nicht leisten und jede einzelne Führungskraft kann keinen Gesamt-Kultur-Prozess gestalten.

5. KI ist mächtig, aber nicht empathisch

Künstliche Intelligenz verändert HR massiv und das ist gut so. Automatisierung entlastet, Daten schaffen Transparenz, Empfehlungen werden präziser. Aber KI kann nicht zuhören. Kein Vertrauen aufbauen. Kein zwischenmenschliches Gefühl deuten.

Fazit: HR wegdenken? Möglich. Aber nicht sinnvoll.

Das Gedankenexperiment hat seinen Reiz. Es zeigt: Vieles kann heute anders organisiert werden als noch vor wenigen Jahren. KI ersetzt administrative Routinen, Führungskräfte können deutlich mehr Verantwortung übernehmen, Tools ermöglichen schlanke Prozesse.

Aber: Ganz ohne zentrale Instanz wird es nicht funktionieren.

Denn irgendjemand muss für Konsistenz sorgen. Für Fairness. Für strategischen Überblick. Die Unternehmens-Vision ins Menschliche übersetzen. Und Unternehmens-Kultur in gelebten Alltag. Für einen rechtssicheren Rahmen, in dem alle handeln können.

Es muss nicht „HR“ heißen. Doch es braucht etwas sehr Ähnliches. Wenn wir es aber anders nennen, nur um „HR“ als Begriff zu entfernen, wäre es Augenauswischerei. Dann können wir gleich bei HR bleiben. Aber bitte nicht als Hindernis für Führungskräfte, sondern als intelligenter, technologiegestützter Sparringspartner.

Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte: Weniger Hierarchie, mehr Verantwortung im Business. Ja. Aber ganz ohne Menschen, die den Gesamtblick behalten und Brücken schlagen zwischen Menschen, Technologie und Organisation? Das wäre nicht innovativ. Das wäre naiv.

HR verschwindet nicht. Es transformiert sich (in den meisten Unternehmen). Und das ist keine Niederlage, sondern ein Fortschritt.

HR muss weg! | Ein Gedanken-Experiment

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