„Führung und Teilzeit“ wird oft als großer Widerspruch, als Oxymoron dargestellt. Ich frage mich: Weshalb?
Wer führt, müsse doch ständig präsent sein, lautet die alte Weisheit. Doch: Wer hat festgelegt, dass Führungskräfte nur dann wirksam sind, wenn sie von Montag bis Freitag Vollzeit im Büro sitzen?
In einer Arbeitswelt, die von Eigenverantwortung, Flexibilität und Digitalisierung geprägt ist, ist es höchste Zeit, dieses Denkmuster an die Wand zu klatschen. Pardon my wording, doch: Führung in Teilzeit ist kein Oxymoron, sondern kann und sollte (!) zum Normalzustand zählen.
Mythos Präsenzpflicht
Die Vorstellung, dass Führung immer Vollzeit bedeutet, stammt aus Zeiten, in denen Hierarchien steil, Kontrolle zentral und physische Präsenz gleichbedeutend mit Macht war. Doch moderne Teams brauchen keine Aufpassenden, die jede Entscheidung absegnen.
Mitarbeitende, auf die ständig ein Auge geworfen oder die an der Hand gehalten werden müssen: ja, die benötigen Vollzeit-Führungskräfte. Doch alle anderen werden auch ohne 24/7-Anwesenheit auskommen. Sie benötigen viel eher Orientierung, Vertrauen und klare Kommunikation.
Viele Mitarbeitende arbeiten ohnehin hochgradig selbstständig. Sie treffen Entscheidungen, stimmen sich ab, entwickeln sich weiter. Gänzlich ohne permanente Beaufsichtigung. Für sie ist eine Führungskraft, die 30 oder 35 Stunden pro Woche da ist, völlig ausreichend. Oder auch 20. Man könnte sogar sagen: Für diese Art von Teams passt Teilzeitführung besser, weil sie Eigenverantwortung stärkt, statt Kontrolle einzufordern.
Was sagt die Forschung dazu?
Dass Teilzeit und Führung zusammenpassen, ist längst mehr als eine Idee. Mehrere Studien zeigen, dass Teilzeitführung gelebte Realität ist und dass sie äußerst erfolgreich sein kann.
Internationaler Blick auf Führung in Teilzeit
- Deutschland: Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln, 2023) arbeiten rund 13 % der Führungskräfte in Teilzeit. Auffällig: Ein Viertel der weiblichen Führungskräfte führt in Teilzeit, bei Männern sind es nur 5,5 %. Viele arbeiten in „vollzeitnaher Teilzeit“ – also 28 bis 32 Stunden. Das zeigt: Teilzeit ist kein Randphänomen mehr, sondern Realität.
- Österreich: Hier liegt die generelle Teilzeitquote insgesamt bei fast 30 % (europaweit einer der höchsten Werte). Laut einer FernFH-Studie (Maier 2022) ist Führung in Teilzeit zwar noch weniger verbreitet, aber die Hürden liegen weniger in der Machbarkeit, sondern in alten Denkmustern.
Eine AMS-Fallstudie zeigt: Teilzeitführung funktioniert gut, wenn Aufgaben und Verantwortung wirklich angepasst werden – andernfalls entsteht die Falle „volle Verantwortung in halber Zeit“. - Skandinavien: In Ländern wie Schweden oder Norwegen ist Flexibilität Teil der Arbeitskultur. Teilzeitführung gilt nicht als exotisch, sondern ist schlicht eine Option unter vielen. Politische Rahmenbedingungen wie Elternzeit und Kinderbetreuung stützen das Modell.
- USA: Hier ist das Bild gemischt. Eine Studie von Funk (2024) zeigt, dass Frauen in Teilzeit deutlich seltener Führungsrollen übernehmen. Weniger, weil sie es nicht könnten, sondern weil Teilzeit in den USA noch immer mit fehlender Ambition gleichgesetzt wird.
Gleichzeitig diskutieren Unternehmen und Fachmagazine wie die Harvard Business Review, wie sie Teilzeitführung als Modell nutzen können.
Die Vorteile liegen auf der Hand
Weshalb sollte Führung in Teilzeit nicht Normalität sein? Ganz im Gegenteil: Sie bringt zahlreiche Vorteile.
- Vielfalt in der Führung: Teilzeit öffnet Führungsrollen für Menschen, die sonst ausgeschlossen wären. Etwa aufgrund von Familie, Pflege oder anderer Verpflichtungen. Das macht Führungsteams diverser und Unternehmen attraktiver.
- Effizienz: Teilzeitführungskräfte setzen klarere Prioritäten und verschwenden weniger Zeit mit Nebensächlichkeiten. Studien zeigen, dass Effizienz und Leistung darunter nicht leiden.
- Employer Branding: Flexible Modelle sind heute ein entscheidender Faktor, um Talente zu gewinnen und zu halten. Unternehmen, die Teilzeitführung ermöglichen, haben einen Wettbewerbsvorteil.
- Struktureller Fortschritt: Teilzeit zwingt Organisationen, Führung neu zu denken: mehr Delegation, klare Zuständigkeiten, bessere Kommunikation. Das stärkt die gesamte Organisation.
Lösbare Herausforderungen
Natürlich bringt Teilzeitführung auch Fragen mit sich:
- Erreichbarkeit: Wer nicht ständig verfügbar ist, muss Erwartungen klar managen.
- Rollenklärung: Führung in Teilzeit funktioniert nur, wenn Aufgaben klar verteilt und Stellvertretungen geregelt sind.
- Karrierebarrieren: Noch immer wird Teilzeit mit „weniger ambitioniert“ verwechselt. Das ist nicht ein Problem der Teilzeit, sondern eines veralteten Mindsets.
- Gefahr der Überlastung: Teilzeit bedeutet nicht automatisch weniger Verantwortung. Unternehmen müssen hier aktiv gestalten und Aufgaben realistisch zuschneiden.
Alle diese Herausforderungen sind lösbar. Durch kluge Organisation, offene Kommunikation und eine Kultur, die Wirkung über Anwesenheit stellt.
Praxis: Teilzeitführung passt besonders gut, wenn …
Teilzeit und Führung gehen Hand in Hand, wenn:
- das Team eigenverantwortlich arbeitet,
- klare Ziele und Ergebnisse statt ständiger Kontrolle zählen,
- Stellvertretungen oder Jobsharing organisiert sind,
- Kommunikationsstrukturen transparent und einfach sind,
- die Kultur auf Vertrauen statt auf Präsenz setzt.
Kurz: Teilzeitführung ist kein Sonderfall, sondern ein Modell für moderne, selbstständige Teams.
Fazit: Führung in Teilzeit ist Normalität – wenn wir es zulassen
Teilzeitführung ist nicht „halbe Führung“. Sie ist eine vollwertige Form von Führung, die lediglich mit weniger Stunden auskommt. Und dafür mehr Klarheit, Vertrauen und Struktur erfordert.
Die Forschung zeigt: In Skandinavien ist es längst selbstverständlich. Es ist an der Zeit, das Bild zu drehen: Nicht „Vollzeit ist normal, Teilzeit ist Ausnahme“, sondern beides sind gleichwertige Formen, Führung auszuüben.
Denn letztlich zählt nicht, wie viele Stunden jemand im Büro verbringt. Es zählt, wie gut sie oder er führt.
Quellen
- https://hbr.org/2021/01/case-study-when-your-star-player-asks-to-go-part-time
- https://forschungsnetzwerk.ams.at/dam/jcr%3A9d5353e2-716f-4c79-8031-122aa1d2e59f/Teilzeitarbeit_fuer_Fuehrungskraefte_arbeit.pdf
- https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S026323732400121X
- https://www.familieundberuf.at/sites/familieundberuf.at/files/event/2017/15902/zusammenfassung_zur_studie_neu_01032017_gedruckt.pdf
- IW Köln Studie
Führung in Teilzeit | Weshalb ist Teilzeitführung nicht schon längst Alltag?
Tipp: HRweb-Artikel: Teilzeit ist kein „Mami-Modell“. Es ist moderne Arbeitskultur.