Beim Schmökern durch das Programm des HRIS fällt mir „Schräg, stark, außergewöhnlich“ auf der Mainstage auf.
HR Inside Summit, 8+9okt2025, Wiener Hofburg: www.HRsummit.at
Den Vortrag hält Marcel Friederich. Dass er genau über dieses Thema „Schräg, stark, außergewöhnlich“ sprechen kann, hängt mir seinem Möbius-Syndrom zusammen und vor allem damit, dass er lernte, es als Stärke zu sehen.
Lasst uns gleich einsteigen ins Interview:
Interview-Partner
Seit Geburt lebt Marcel Friederich mit einer körperlichen Behinderung, dem Möbius‒Syndrom. Sein Anderssein hat er inzwischen zu seiner Stärke gewandelt. Um gesellschaftlich etwas zu bewegen, hat er Anfang 2025 das crossmediale MUTMACHER‒Projekt ins Leben gerufen, damit unsere Gesellschaft vorurteilsfreier, respekt‒ und verständnisvoller wird. www.marcelfriederich.de
HR Inside Summit
Marcel Friederich ist am 8okt2025 auf der Mainstage als auch in einer Session sehen:
HR Inside Summit, 8+9okt2025, Wiener Hofburg: www.HRsummit.at

Persönliche Motivation & Hintergrund
Du gehst sehr offen mit deinem Anderssein um. Was ist das Möbius-Syndrom und welche Auswirkungen hat es für dich?
Die auffälligste Auswirkung des Möbius-Syndroms ist, dass mir in der linken Gesichtshälfte Nerven fehlen. Das erkennt man am deutlichsten, wenn ich lache – dann lacht bei mir nur die rechte Gesichtshälfte, während die linke starr bleibt. Dadurch ergibt sich ein ziemlich schräges Lachen, was Außenstehende schnell verunsichern kann. Diese körperliche Beeinträchtigung hat mich lange Zeit negativ beeinflusst und mich glauben lassen, ich sei weniger wert als andere Menschen.
Inzwischen hat sich das gewandelt: Ich bin stolz auf mein Anderssein – und möchte gleichzeitig andere Menschen stärken, mutiger und selbstbewusster mit ihrem individuellen Anderssein umzugehen.
Dieses Anderssein war lange eine Herausforderung. Was hat dich dazu befähigt, es in eine Stärke zu verwandeln?
Jahrzehntelang habe ich mich gar nicht mit meiner Behinderung und meinem Anderssein beschäftigt. Ich habe stattdessen sehr, sehr viel als Journalist gearbeitet und kompensiert: Ich dachte, ich müsse viel härter arbeiten und beruflich viel erfolgreicher sein als andere, um zumindest ein wenig Wertschätzung im Leben zu erhalten.
Durch diesen Antrieb ist mir beruflich ein Weg gelungen, auf den ich heute rückblickend schon stolz bin. Aber mir ist ebenso bewusst, dass die Kompensation einen sehr großen Anteil daran trägt. Erst nachdem ich mehrere Traumjobs ausüben durfte – zuletzt als Leiter der Unternehmenskommunikation der DFL (Dachorganisation der deutschen Fußball-Bundesliga) –, habe ich mir mit Mitte 30 intensivere Gedanken über mich und meine Behinderung gemacht. So habe ich meine vermeintliche Schwäche Stück für Stück zur Stärke transformiert.
Wie brachte dich deine persönliche Geschichte dazu, Keynote‑Speaker, Mentor und Mutmacher zu werden?
Vor zweieinhalb Jahren sprach ich in einem Podcast erstmals öffentlich über meine Behinderung und über mein Anderssein. Daraufhin erreichte mich eine Welle von tollem, berührenden Feedback: Menschen schildern mir bis heute stetig, wie viel Kraft sie für ihr eigenes Leben und das individuelle Anderssein schöpfen, wenn ich positiv konnotiert über mein Leben mit körperlicher Behinderung spreche.
Beginnend mit besagtem Podcast vor zweieinhalb Jahren habe ich also mehr und mehr realisiert, welche Wirkung meine persönliche Geschichte erzielen kann. Daher habe ich zu Jahresbeginn 2025 einen ganz neuen Weg eingeschlagen haben: als Keynote-Speaker, Mentor und Mutmacher.
Inklusion, HR‑Wirkung und Veränderung
Beim HR Inside Summit präsentierst du dein Projekt als Gegenmittel zu Vorurteilen. Worum handelt es sich konkret und was bedeutet das für die HR‑Praxis?
Für das MUTMACHER-Crossmedia-Projekt habe ich elf Menschen getroffen, die mit unterschiedlichen Hürden und Herausforderungen leben: sichtbare und nicht sichtbare Behinderungen, chronische Erkrankungen, Fehlgeburten, Homosexualität, Suizid-Erfahrungen in der Familie – oder ganz andere herausfordernde Themen. Eines haben diese Menschen gemeinsam: Sie gehen ihre Herausforderungen positiv an, meistern sie bestmöglich und inspirieren dadurch viele andere Menschen.
Für die HR-Praxis bedeutet das: Egal, mit welchen Hürden ein Mensch konfrontiert ist, stempele sie oder ihn nicht vorschnell ab – sondern gebe der Person eine Chance, schaue etwas genauer ihn, nehme dir einen Moment länger Zeit, um dich mit der Person dir gegenüber zu beschäftigen.
Vielleicht ist sie oder er zwar nicht zu 100 Prozent leistungsfähig, dafür umso leistungsbereiter und motivierter? Und womöglich besitzt sie oder er sogar eine spezifische „Superkraft“? Deshalb lohnt es sich so sehr, Vorurteile beiseite zu schieben, speziell in Zeiten des Fachkräftemangels. So wird mein Leitmotiv „Mut zum Anderssein“ schnell auch zum positiven Wirtschaftsfaktor für Unternehmen.
Wie können HR‑Manager und Managerinnen durch authentische Geschichten eine inklusivere Unternehmenskultur gestalten?
Eine inklusivere Unternehmenskultur kann beginnen, wenn firmenintern eine Kultur von Offenheit und gegenseitigem Respekt wächst. Dafür bedarf es oft einem ersten Schritt. Ähnlich wie ich es mit dem Startschuss zum MUTMACHER-Projekt gemacht habe und dadurch schon jetzt viele, viele andere Menschen mit auf den Weg genommen habe. So braucht es auch in Unternehmen entsprechende Vorbilder, die ihre mutmachenden Geschichten des Andersseins offen kundgeben und teilen. Im Bestfall beginnt dies beim Vorstand oder der Geschäftsführung, um direkt zu erkennen, dass das Unternehmen die Thematik wirklich ernst nimmt.
Was heißt „Mut zum Anderssein“ konkret für Führungskräfte und Teams in Unternehmen?
Mein persönliches Leitmotto „Mut zum Anderssein“ bedeutet, sich selbst und das eigene Anderssein zu akzeptieren und gleichzeitig anderen den Raum zu lassen, sich individuell zu entfalten. Sehr ähnliche Charaktereigenschaften benötigen Führungskräfte, um Vielfalt und Inklusion innerhalb ihrer Teams zu stärken: Erst einmal müssen sie sich selbst genau kennen, akzeptieren und so gefestigt in ihrem eigenen Charakter sein, dass wiederum Teammitglieder vollständiges Vertrauen und gegenseitiges Verständnis verspüren können. So werden Mitarbeitende bestärkt, zum eigenen Anderssein zu stehen – mit dem Wissen, dass sie von ihrer Führungskraft ernst genommen und wertgeschätzt werden, unabhängig davon, welche vermeintlichen Schwächen sie offenbaren.
Welche Methoden empfiehlst du, um das Bewusstsein für Diversität und Selbstwert im Arbeitsumfeld zu fördern?
Es bedarf regelmäßiger, positiv konnotierter Aufklärungsarbeit: zum Beispiel
- wiederkehrende Gesprächsrunden (im Bestfall mit Beteiligung des Vorstands oder der Geschäftsführung),
- Workshops oder
- die Etablierung firmeninterner Netzwerke (z.B. ein geschützter Netzwerk-Raum für Mitarbeitende, die beispielsweise homosexuell sind und sich gegenseitig stärken).
Einmalige Veranstaltungen sind gut, Wiederkehrendes ist noch viel wirkungsvoller. Um nachhaltig zu verstehen, dass Anderssein kein Makel ist, sondern etwas Wunderbares sein kann, was dich einzigartig macht.
Abschlussfrage
Wenn du einen Wunsch für die HR‑Community hättest: welche Veränderung wäre das?
Ich wünsche mir (noch) mehr ehrlichen MUTMACHER-Spirit – und dabei einen langen Atem! Ein vorurteilsfreieres, respekt- und verständnisvolleres Umfeld und Miteinander zu etablieren, ist nicht im Handumdrehen erledigt. Im Gegenteil, es handelt sich um eine „never ending story“. Doch es lohnt sich! Sowohl Menschen individuell als auch die Gemeinschaft werden dadurch nachhaltig gestärkt. Genau davon profitieren Unternehmen letztlich auf unterschiedlichen Ebenen.
Fazit
Was bedeutet „Mut zum Anderssein“ wirklich?
Für Marcel Friederich ist es weit mehr als ein Slogan. Es ist ein gelebtes Prinzip, das in seiner Biografie tief verwurzelt ist. Erst nachdem er seine Behinderung nicht länger kompensierte, sondern annahm, entfaltete sich sein volles Potenzial. Und mit ihm die Fähigkeit, andere zu inspirieren.
In Unternehmen sieht er eine Chance: Wenn Führungskräfte den ersten Schritt gehen, Offenheit fördern und echten Dialog zulassen, entsteht Raum für Entwicklung. Persönlich, kulturell und wirtschaftlich.
Marcel Friederich zeigt, wie man durch Authentizität, Respekt und ein wenig mehr Zeit für das Gegenüber Barrieren abbauen und Zukunft gestalten kann.
Marcel Friederich am HRIS: Wie das Möbius-Syndrom zum Motor für Mut und Führung wurde – zum Mutmacher.