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Skill Based Hiring im Realitätscheck | Zwischen Google-Visionen und OMV-Praxis

22Sep2025
5 min
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HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

„Kein Studium, kein Top-Job“, war jahrzehntelang die eiserne Regel. Und doch zeigen die großen Player der Tech-Welt, wie Google und Tesla, dass diese Denkweise längst überholt ist. Auch die Erste Group und OMV gehen in Österreich ähnliche Wege.

Der Blick in die USA: Google & Tesla

Google

Google etwa hat die starre Fixierung auf Abschlüsse schon vor Jahren aufgebrochen. Ein Diplom ist dort längst kein Muss mehr. Wer durch Projekte, Portfolios oder schlicht Können überzeugt, hat Chancen. Auch ohne akademischen Titel. Dass das keine PR-Floskel ist, beweist die Karriere von Edwin Toh: Er startete als UX-Engineer bei Google, obwohl er nie einen Collegeabschluss machte. Statt Zeugnisse zählen heute praktische Erfahrung und nachweisbare Skills.

Tesla

Auch Tesla geht einen ähnlichen Weg. Während traditionelle Konzerne noch immer mit seitenlangen Anforderungsprofilen voller Abschlüsse arbeiten, finden sich bei Tesla zahlreiche Jobs, die keine formale Ausbildung voraussetzen. Ob Produktion, Logistik oder Service – entscheidend ist, ob jemand lernbereit, flexibel und einsatzstark ist. Auf Jobplattformen tauchen explizit Stellenangebote ohne Ausbildungsvoraussetzungen auf.

Diese Beispiele sind nicht nur spannende Einzelfälle. Sie markieren einen Paradigmenwechsel: Die Unternehmen, die in den dynamischsten Märkten agieren, setzen nicht auf Papier, sondern auf Potenzial.

Beispiele aus Österreich: Erste Group & OMV

Ich habe recherchiert, doch für Österreich sind überzeugende Praxisbeispiele von Unternehmen, die klar und systematisch Skills-Based Hiring betreiben, nicht einfach zu finden. Dennoch zeigen Erste Bank / Erste Group und OMV Hinweise, in welche Richtung sich die Praxis entwickelt.

Sehen wir uns diese beiden Fallbeispiele näher an. Und hinterfragen wir die Relevanz für HR:

Erste Group / Erste Bank

Die Erste Group setzt zunehmend auf Programme, bei denen Entwicklung und Lernfähigkeit betont werden, nicht nur die formale Qualifikation. So kündigt das „Graduates – Trainee Programme“ an, dass es nicht nur darum geht, frischgebackene Uni-Absolventen und -Absolventinnen einzustellen, sondern auch zukünftige soziale und „future skills“ zu fördern.

Ein weiteres Stichwort: Traineeships, die stark praktische Komponente enthalten. In einer Pressemitteilung von 2020 heißt es, dass Interessierte für das Trainee-Programm ausgewählt werden, und dass es „sehr stark auf praktische Komponenten fokussiert“ ist. Das heißt: Die Einsätze in verschiedenen Bereichen, das Ausprobieren, das Kennenlernen mehrerer Teile der Bank gehören dazu, ebenso wie Lern- und Selbstentwicklungsangebote.

Was man daraus ableiten kann, ist: Erste Bank erkennt, dass Mitarbeitende nicht nur Fachwissen mitbringen müssen, sondern auch Lernbereitschaft, Adaptionsfähigkeit und Erfahrung in abwechslungsreichen Kontexten.

Nachgefragt

Nachgefragt bei der Erste Group Bank AG heißt es von Cornelia Schwaminger (Group Head of Talent Acquisition & Employer Branding. People & Culture Organization):

„Wir sehen die Zukunft in einem Skill-basierten Recruiting-Ansatz und arbeiten bereits daran: Wir sind überzeugt, dass es künftig andere Skills als formale Bildungsabschlüsse braucht: etwa digitale Kompetenz, kollaboratives Arbeiten, kreative Problemlösung oder unternehmerisches Denken. Diese Fähigkeiten lassen sich oft nicht in klassischen Lebensläufen ablesen, aber sie machen den Unterschied in der Praxis.

Skill-based Hiring bedeutet für uns, Talente ganzheitlich zu betrachten und Menschen Chancen zu geben, die über traditionelle Auswahlkriterien hinausgehen. Es ist ein Schritt hin zu mehr Diversität, Chancengleichheit und Zukunftsfähigkeit für unsere Organisation.“

Cornelia Schwaminger

OMV

Die OMV kommuniziert auf der Karriereseite: Geboten werden nicht bloß Jobs, sondern Karrieren mit Fokus auf Entwicklung. Ob für Berufseinsteigende, Professionals oder im Trainee-Programm. Es wird betont, dass Mitarbeitende in einem Umfeld arbeiten sollen, das „wächst“, das „innovativ ist“, das sie herausfordert, inspiriert und unterstützt.

Ein konkreter Hinweis ist das Programm namens DigitUP / „Digital Journey“ bei OMV / OMV Petrom, bei dem Fähigkeiten, Kulturwandel und Innovation stark adressiert werden. OMV Petrom etwa spricht davon, dass man Arbeitsweisen verändern möchte, digitale Kompetenzen fördern will durch Programme wie „Digital Academy“ und Initiativen, die Innovation, Agilität und Veränderungsbereitschaft stärken. Das impliziert: Skills-Entwicklung ist nicht mehr Nice-to-have, sondern Teil der Strategie.

Weshalb sind das keine perfekten Beispiele – und was können wir daraus mitnehmen?

Diese Beispiele sind Hinweise und keine vollständigen Fallstudien von Skills-basiertem Einstellen ohne Rücksicht auf Abschlüsse. In beiden Fällen gibt es noch Anforderungen, die auf formale Qualifikation setzen, zumindest für bestimmte Programme. Dennoch zeigen sie, dass der Wandel – auch in Österreich – stattfindet:

  • Programme mit starkem Praxisbezug und wechselnden Einsatzbereichen fördern Lernfähigkeit und Erfahrungsvielfalt.
  • Digitale Transformation wird begleitet von Initiativen, die nicht nur Technik, sondern Kultur und „future skills“ ins Zentrum stellen.

Konkrete Schritte für HR

Vor dem Hintergrund dieser Beispiele, schließe ich folgende Schritte für HR, gerade mit Blick auf die österreichische Unternehmenslandschaft:

Analyse interner Programme wie Traineeships

HR-Abteilungen sollten prüfen: Wie viel von den vorhandenen Trainee- oder Einstiegsprogrammen ist wirklich praxisnah? Werden Lernpfade angeboten, die nicht nur Fachwissen, sondern adaptive Kompetenzen schulen?

Offenere Ausschreibungen und Formulierungen

Statt zu schreiben „Abschluss in … notwendig“, könnte man formulieren „Abschluss oder gleichwertige Erfahrung“. Oder: Bei Bewerbungsgesprächen gezielt Projekterfahrung, Adaptivität, Innovationsfreude abfragen.

Skill-Inventar aufbauen

Erfassen, welche Skills aktuell vorhanden sind, welche gebraucht werden. Lokales Skills-Mapping könnte Teil der Personalstrategie sein. Das ist zwar Aufwand, doch bringt entscheidende Vorteile.

Digitale und soziale Kompetenzprogramme erweitern

Bereits existierende Initiativen wie bei OMV Digital Academy oder auch der Erste Group: diese ausbauen, dafür Ressourcen bereitstellen, Lernzeit im Arbeitsalltag einplanen.

Führungskräfte und HR entwickeln

Damit diese Fähigkeiten ernst genommen werden, müssen auch Führungskräfte geschult werden, um Skills in Auswahl und Performance zu beurteilen. HR sollte hier als Entwicklungsakteur fungieren.

Fazit

Die Zeiten, in denen ein Studienabschluss Türöffner Nummer eins war, sind gezählt – Google und Tesla machen vor, wie „Hire for Attitude“ zur neuen Norm wird. In Österreich zeichnet sich dieser Shift leiser ab: Programme bei der Erste Group und OMV zeigen zumindest erste Ansätze in Richtung Skills-basiertes Recruiting.

Doch echte Transformation verlangt mehr: HR muss den Mut haben, klassische Auswahlkriterien neu zu denken und Führungskräfte zu befähigen, Potenzial jenseits von Zeugnissen zu erkennen – denn Zukunft entsteht nicht durch Abschlüsse, sondern durch Anpassungsfähigkeit.

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