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Es ist ein altbekanntes Phänomen, dass Bewerbungsunterlagen in vielen Ländern der Welt unterschiedlichen „Regeln“ folgen. Während man in den USA auf die Angabe von Alter, Religion oder sogar Photo verzichtet, sind solche Dinge in Österreich absolut üblich. Zu welchem Vor- oder Nachteil?

Es ist eine Diskussion die immer mal wieder aufflammt. In letzter Zeit v.a. aufgrund einer Pilotstudie, die in Deutschland großangelegt durchgeführt wurde. Die Kernfrage dahinter: Bietet eine tw. anonymisierte Bewerbung – also die Bereinigung der Bewerbungsunterlagen um Alter, Religion, Foto  ggf. sogar Geschlecht – eine höhere Fairness im Bewerbungsprozess?

Woher kommen die Bedenken?

Die Frage die man sich zuerst stellen muss ist: Wie lange dauert eine erste Sichtung der Bewerbungsunterlagen und worauf achtet das Recruiting? Schwer zu sagen. Aber auf jeden Fall wird dies in den meisten Fällen vergleichsweise rasch gehen und für Standardpositionen bleiben Recruitern oft nur 5-15 Minuten. Da wird auf Schlüsselkompetenzen und formale Aspekte geachtet – aber eben auch auf die personenbezogenen Merkmale. Und der erste Eindruck kann dabei zu schnell von Vorurteilen oder persönlichen Präferenzen geprägt sein.

Eine Frau Anfang 30…und wenn die bald schwanger wird? Ein Herr namens Mladic…..ob der wohl gut genug Deutsch spricht? Eine Bewerberin mit Kopftuch am Foto…..ob das ein Religionsthema in den Firmenalltag bringt? Ein Mann der sich als alleinerziehend mit 2 Kindern beschreibt….ob der genug Aufmerksamkeit in den Job legt?

Egal ob Klischee oder „Erfahrungswert“ eines Recruiters – die Befürchtung liegt nahe, dass so die eine oder andere (oder gar viele?) Bewerbungen doch am Absagestapel landen, noch bevor die BewerberInnen sich im persönlichen Gespräch beweisen können.

Anonymisiertes Bewerbungsverfahren: ein Pilot

Mit anonymisierten Bewerbungsverfahren (zumindest in der 1. Runde bis zum persönlichen Gespräch) soll dies anders laufen. Bevor die Personalabteilungen und Führungskräfte die Mappen zu sehen bekommen, werden Foto, Name, Angaben zu Alter, Geschlecht, Herkunft und Familienstand entfernt oder geschwärzt. Die Auswahlentscheider erhalten eine anonymisierte Übersicht und sollen sich dadurch auf die Fakten konzentrieren, und nicht auf Personenmerkmale.

In Deutschland gab es heuer dazu ein Pilotprojekt. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat ein Modellprojekt auf den Weg gebracht. Fünf Unternehmen, darunter die Deutsche Post und der Konsumgüterhersteller Procter & Gamble sowie das Bundesfamilienministerium nahmen daran teil. Sie haben sich verpflichtet zwölf Monate lang nur noch anonymisierte Bewerbungen zu begutachten. Die Auswahlprozesse werden wissenschaftlich begleitet und anschließend ausgewertet. Nach über 8.000 derartigen Bewerbungen ziehen die Projektinitiatoren ein positives Resümee, da eine „Einstiegshürde“ in der Vorselektion durch die Anonymisierung beseitigt werden konnte. Auch die beteiligten Unternehmen zeigen sich sehr positiv – wenn auch skeptisch aufgrund der Praktikabilität im Alltag.

Vor- und Nachteile

Hält damit eine Praxis, die in den USA seit den 1960ern üblich ist, auch bei uns Einzug? Das wird wohl noch dauern. Auch muss man die Vor- und Nachteile sehr genau betrachten.

Als Vorteil wird dabei v.a. auf die Objektivierung der Bewerbungsverfahren und die Nicht-Beeinflussung durch personenbezogene Merkmale angeführt. Das ist soweit klar.

Man darf dieses Vorgehen aber auch skeptisch betrachten.

  • Raubt man BewerberInnen damit ihre Individualität?
  • Verhindert man damit, dass Unternehmen MitarbeiterInnen finden die auch von der Lebensphase und den Lebensumständen her in das Unternehmen passen?
  • Ist das Vorgehen vielleicht sogar kontraproduktiv, da man auch verhindert, dass Unternehmen die eigene Diversität gezielt erhöhen können?
  • Ist es ggf. fadenscheinig da Alter, Geschlecht etc. in anderen CV-Details erst wieder zum Ausdruck kommen (bspw. Berufserfahrung, Bundesheer o.ä.)?
  • Ist es ein enormer Aufwand, da ja jede Bewerbung VOR der Bewertung auch noch anonymisiert werden muss?
  • Und verschiebt es die „Subjektivität“ dann nicht einfach nur in die erste persönliche Gesprächsrunde und verpufft spätestens dann?

Fazit

Die Liste der für-und-wieder ist lange. Es bleibt aber die spannende Anregung die eigene Selektionspraxis zu hinterfragen und das nächste Mal, wenn man intern bei sich von Auswahlentscheidungsbeteiligten einen Satz hört wie „Die schaut sympathisch aus, die laden wir ein!“ oder „Wah – was ist denn das für ein schlechtes Foto.“ Mal darüber nachzudenken, wie objektiv die Selektionen denn wirklich sind.

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HRweb-Artikel zum Thema

Lesen Sie auch den HRweb-Artikel „Die anonyme Bewerbung – unsere Zukunft?“ von Peter Rieder (14sep2012)

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Mag. Gerd Beidernikl | Teil unseres fixen Autoren-Teams

Mag. Gerd Beidernikl ist geschäftsführender Gesellschafter von vieconsult, der Vienna Corporate Research and Development GmbH und Lehrvortragender für Organisationssoziologie.

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