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Bewerbung 4.0: Wie KI und Fotos den Auswahlprozess beeinflussen

18Jun2025
5 min
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HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

KI im Recruiting und die Macht des ersten Eindrucks: Im Experten-Interview diskutieren wir, weshalb Unternehmen zunehmend auf automatisierte Vorselektionen setzen und wie sich der Umgang mit Bewerbungsfotos verändert.

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Experten-Interview

Vor-Selektion durch KI

Wie stehen Sie dazu: Bewerbungen durch KI vorselektieren lassen – Ja oder Nein?

Mag. Cornelia Schwaminger (and-us)

Sofern das KI-Tool mit einer angemessen und sorgfältig gewählten repräsentativen Datenmenge angelernt wurde, kann KI durchaus wertvoll für die Vorselektion von Bewerbungen sein.  Um meinem Grundsatz des Attitude-Hirings treu zu bleiben, ist es allerdings unerlässlich, dass die Letztentscheidung von Menschen getroffen wird. Dennoch ist KI die Zukunft und es wäre ein Fehler, die neuen Technologien nicht zu nutzen – man muss sich nur gut überlegen wo und wie.   

Mag. Armand Kaáli-Nagy (ÖPWZ)

Nein, außer ich habe eine sehr große Anzahl an Bewerbungen für dieselbe Position. Auch das Ergebnis der KI muss ich überprüfen und das kostet auch Kapazitäten. Wenn ich mit der menschlichen Vorselektion nicht zufrieden bin, dann muss ich diese zuerst verbessern, denn nur wenn diese gut ist, kann das KI-Ergebnis stichprobenweise kontrolliert werden.

Tristan Niewöhner (persomatch)

Ja, aber mit Einschränkungen. KI kann dabei helfen, Bewerbungen effizient zu sichten und erste Einschätzungen zu treffen – insbesondere bei einer hohen Anzahl von Bewerbenden. Sie erkennt Muster in Lebensläufen, gleicht Qualifikationen mit Anforderungsprofilen ab und kann Recruitierenden viel Zeit sparen. Allerdings sollte sie nur als unterstützendes Tool dienen. Die endgültige Entscheidung, wer in den nächsten Auswahlprozess kommt, muss ein Mensch treffen. Der Grund: KI kann zwar objektive Daten auswerten, aber keine Persönlichkeit, Motivation oder Potenzial erfassen. Eine zu starke Automatisierung birgt zudem die Gefahr, unbewusste Vorurteile aus vergangenen Daten zu reproduzieren.

Daher sollte KI in der Vorauswahl eingesetzt werden, aber immer mit einer menschlichen Überprüfung kombiniert werden.

Maria Brinninger-Gschaider, MA (HR_4.0 Beratung ZELLNER)

Leider ist die aktive Bewerberquote bei vielen Jobangeboten nicht sehr hoch, hier bringt der Einsatz von KI-Tools in der Vorselektion kaum Mehrwert. Bei Jobs, die eine hohe Anzahl an Kandidatinnen generieren, macht eine KI-gestützte Selektion Sinn etwa durch den Einsatz eines Chatbots, der auf Grund der Stellenanforderung nach bestimmten Muss-Kriterien vorselektiert und automatisierte Interviewtermine vereinbart oder Absagen zusendet. Auch wenn KI für die erste Sichtung bei hohen Bewerberzahlen sinnvoll ist, sollte die finale Entscheidung immer durch Recruitierende getroffen werden.

Hermann Pavelka-Denk (Pavelka-Denk Personalberatung)

Ja, aber mit Bedacht. KI kann uns dabei helfen, den Bewerbungsprozess zu entlasten, indem sie automatisch Bewerbungen auf bestimmte Kriterien hin überprüft. Allerdings muss ein erfahrener Recruiter den letzten Schritt übernehmen und den Kontext der Bewerbung verstehen.

Ein Beispiel aus unserer Praxis: Bei einer großen Executive Search-Projektausschreibung setzen wir KI zur Vorselektion ein, lassen aber die endgültige Entscheidung immer noch von Experten treffen, die die komplexen Anforderungen besser bewerten kann. So können wir effizient arbeiten und

Bewerbung mit / ohne Foto

Wie stehen Sie dazu: Bewerbungsfoto ja oder nein, um die Beeinflussung der Recruitierenden zu umgehen?

Hermann Pavelka-Denk (Pavelka-Denk Personalberatung):

Nein, auf ein Bewerbungsfoto sollte verzichtet werden, um Diskriminierung zu vermeiden. In unseren Prozessen verzichten wir bewusst auf die Erhebung von Fotos, um den Fokus auf Qualifikationen und Erfahrungen zu legen. Auch bei der Nutzung von KI-gestützten Analysetools achten wir darauf, dass die KI ausschließlich relevante berufliche Daten auswertet und keine persönlichen Merkmale wie das Erscheinungsbild berücksichtigt. Das hilft uns, Bias zu minimieren und eine objektivere Auswahl zu treffen.

Tristan Niewöhner (persomatch):

Grundsätzlich nein – ein Bewerbungsfoto ist nicht notwendig und kann unbewusste Vorurteile im Auswahlprozess verstärken. Gerade im Hinblick auf Diversity & Inclusion setzen immer mehr Unternehmen auf anonymisierte Bewerbungsverfahren, bei denen weder Fotos noch persönliche Informationen wie Geschlecht oder Herkunft berücksichtigt werden. Studien zeigen, dass visuelle Eindrücke oft unbewusst Entscheidungen beeinflussen – unabhängig von den tatsächlichen Qualifikationen. Ein rein kompetenzbasiertes Auswahlverfahren sorgt für mehr Objektivität und Chancengleichheit.

Dennoch gibt es Branchen, in denen ein Bewerbungsfoto noch üblich ist, etwa in kundenorientierten Berufen. Hier sollte jeder Bewerbende selbst entscheiden dürfen. Langfristig geht der Trend jedoch klar in Richtung Bewerbungen ohne Foto, um eine faire Beurteilung sicherzustellen.

Mag. Armand Kaáli-Nagy (ÖPWZ):

Internationale Studien zeigen, dass die Qualität des Selektionsprozesses besser ist, wenn dieser Prozess ohne Foto stattfindet. Bei Unternehmen haben aber dann mehr Vorstellungsgespräche stattgefunden.

Ich persönlich finde eine Bewerbung mit Foto ansprechender. Das Foto macht aber nur einen Teil des ersten Eindrucks aus.

Mag. Cornelia Schwaminger (and-us):

Ich bin ein Fan von Bewerbungsfotos, da die Personen, die diskriminieren wollen, ohne Bewerbungsfotos einfach beim ersten Video-Call oder persönlichem Interview damit beginnen – man hebelt diesen Effekt nicht aus.

In Österreich sind Bewerbungsfotos durchaus üblich. Aus meiner London-Zeit kenne ich rein skill-basierte Lebensläufe, denen neben dem Foto auch jede persönliche Note wie Hobbies, Familienstand etc. fehlt, die aber wiederum wichtig sind, um sich einen ersten Eindruck über eine Persönlichkeit zu machen. Dann kann man beim ersten Gespräch konkreter fragen, eine Person schneller und besser „greifen“ und kennenlernen. Und für die Letztentscheidung ist die „Attitude“ ohnehin ausschlaggebend und sollte in Zeiten des KI-Booms auch immer wichtiger werden.

Maria Brinninger-Gschaider, MA (HR_4.0 Beratung ZELLNER):

In unseren Breitengraden rate ich jedem Kandidaten, ein professionelles Bewerbungsfoto mitzusenden. Gerade im HR-Consulting kennen wir die Anforderungen unterschiedlichster Unternehmen. Bislang kann ich mich an keinen Case erinnern, bei dem nicht ein Foto angefordert wurde, um den Eindruck des Kandidaten abzurunden. Vielleicht sei an dieser Stelle noch zu erwähnen, dass auch KI-Tools existieren, die gezielt dem subjektiven „Bias“ entgegenwirken. Aus der Anwendung solcher KIs weiß man mittlerweile, dass es auch in die entgegengesetzte Richtung gehen kann und Vorurteile durch einen systematischen Fehler verstärkt werden.

Fazit

Die Vorselektion von Bewerbungen durch KI wird unterschiedlich bewertet: Während einige Experten sie als effiziente Unterstützung sehen, betonen andere die Notwendigkeit menschlicher Kontrolle und die Gefahr unbewusster Vorurteile. Klar ist: KI kann helfen, sollte aber nie allein entscheiden. Beim Bewerbungsfoto gibt es ebenso geteilte Meinungen – während einige auf Anonymität setzen, um Vorurteile zu minimieren, halten andere ein Foto für sinnvoll, um Persönlichkeiten besser einschätzen zu können. In Österreich bleibt es weiterhin verbreitet, doch der Trend zur anonymisierten Bewerbung nimmt zu.

 

Interviewte Personen

Bewerbung 4.0: Wie KI und Fotos den Auswahlprozess beeinflussen

Mag. Cornelia Schwaminger
Cornelia Schwaminger, AndUS

Mag. Armand Kaáli-Nagy

Armand Kaáli-Nagy, OePWZ

Maria Brinninger-Gschaider, M.A.

Maria Brinninger-Gschaider, Beratung Zellner

Hermann Pavelka-Denk

Hermann Pavelka-Denk, Pavelka Denk Personalberatung
Tristan Niewöhner
  • Geschäftsführer
  • persomatch GmbH
Tristan Niewöhner, persomatch: Stellenausschreibung Stellenanzeigen

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