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Belastet durch die „Evaluierung psychischer Belastungen“? Ein kritischer Blick.

keine zeit zu fuehren

Seit rd. 1 1/2 Jahren ist die Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz in Österreich gesetzlich verpflichtend vorgesehen. Ein prinzipiell gutes Ansinnen des Gesetzgebers hat dabei zu vielen nicht intendierten Effekten geführt. Und zu einem protektionierten Spielplatz für Arbeitspsychologen.

Ich muss eines voranschicken: Ich halte es für sinnvoll und sehr wichtig, dass sich Arbeitgeber ihrer Pflicht für das Wohlbefinden der Mitarbeiter am Arbeitsplatz bewusst sind und diese Pflicht auch entsprechend umsetzen. Dazu gehört die körperliche Sicherheit ebenso wie die psychische Belastungsfreiheit. Ich halte es für ebenso sinnvoll die vorhandenen Gefahrenquellen und Stresseblastungen am Arbeitsplatz regelmäßig zu prüfen. Ich sehe nur die gängige Praxis in Österreich derzeit sehr kritisch.

Evaluierung psychischer Belastungen

In Deutschland gibt es durch die BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutzung und Arbeitsmedizin) schon seit Jahren eine treibende Kraft die durch eine Vielzahl an Initiativen und Instrumenten dieses Ansinnen unterstützt. Die Praxis ist geprägt durch eine Vielzahl an Möglichkeiten diesem Ansinnen nachzugehen. Methodenvielfalt prägt die Praxis.

Österreich hat diesbezüglich nicht nur in gewissen Punkten aufgeholt, sondern (rechts?!) überholt und die Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz per 1.1.2013 gesetzlich verpflichtend im Arbeitnehmerschutzgesetz verankert. Jedes Unternehmen (egal welcher Größe) muss dabei in regelmäßigen Abständen die psychischen Belastungsquellen evaluieren und darauf aufbauend einen Prozess der Bearbeitung initiieren dessen Maßnahmen in den betrieblichen Sicherheits- und Arbeitsschutzdokumenten festzuhalten sind. Prüfende Instanz ist das Arbeitsinspektorat, die diesbezüglich in letzter Zeit sehr aktiv werden Unternehmen diesbezüglich zu prüfen.

Die Auswirkungen

Der österreichische Weg dieses prinzipiell gute Vorhaben einzuführen – durch starke gesetzliche Verpflichtung bei parallel wenig vorab-Praxiserfahrungen – hat meines Erachtens nach zu einigen Enwicklungstendenzen geführt die ich wie folgt umreißen möchte:

  • Verwirrung: Viele Unternehmen in Österreich sind aufgrund der derzeitigen Vorgaben verunsichert oder verwirrt. V.a. auch weil die selbst noch nicht in allen Themen einigen Arbeitsinspektorate je nach Bundesland und Zuständigkeit teils sehr unterschiedliche Anforderungen stellen: von drakonisch bis phlegmatisch reicht das Spektrum der Typologie die mir in diesem Zusammenhang begegnet.
  • Von 0 auf 100: Die Einführung der Evaluierungspflicht für de facto alle Unternehmen (auch Kleinstunternehmen) führte über Nacht zu einem davor nie dagewesenen „Markt“ für derartige Evaluierungsvorhaben. Sowohl auf der Angebots als auch auf der Nachfrageseite. Merkbar ist es durch eine täglich wachsende Anzahl an Anbietern die häufig als Ein-Mann/Frau-Arbeitspsychologen diesen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen geloben – mit sehr schwankenden Qualitätsmerkmalen. Preisdumping inklusive.
  • Instrumentenhörigkeit: Der österreichische Weg war einen wesentlichen Schwerpunkt auf der Instrumentenebene zu setzen. Die Vorgaben im Gesetz schreiben dabei sowohl eine exakte thematische Abdeckung als auch sehr stringente Qualitätsmerkmale fest. Dies führt zu einem sehr kleinen Spektrum an anerkannten Instrumenten und dazu, dass oft über Reliabilitäten und Messegenauigkeiten debattiert wird, wo eigentlich der Praxisnutzen für Mitarbeiter und Unternehmen im Vordergrund stehen sollte.
  • Monopolisierung: Der kleine Kreis an anerkannten Instrumenten besteht neben einigen freien Verfahren (bspw. KFZ-A) auch aus hoch-kommerziellen Anbietern, die aus dem Kreis der „Early Mover“ stammen – jenen Arbeitspsychologen die sehr früh auf diesen Trend aufgesprungen sind oder diesen Trend in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsinspektorat mit gestaltet haben.
  • Geringschätzung bestehender Initiativen: Der Effekte aus den bisher genannten Tendenzen ist, dass wenig bis keine Berücksichtigung bestehender Initiativen von Unternehmen erfolgt wenn diese (auch nur graduell) von den Vorgaben abweichen. Bspw. groß angelegte Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung wie unternehmensweite Gesundheitszirkel, die nicht dem Konzept einer standardisierten Gruppendiskussion oder von der AUVA propagierten ABS-Gruppe folgen (ggf. aber zu den exakt selben Lösungen kommen). Oder auch Mitarbeiterbefragungen von Unternehmen, die seit Jahren wertvolle Daten zur Belastungssituation von Mitarbeitern liefern, aber plötzlich keine Anerkennung und Wert mehr besitzen (ggf. aber dieselben Themen erheben aber einem anderen Erhebungsparadigma folgen).
  • Unterschätzung der Organisationsentwicklungsaspekte: Die bestehenden Vorgaben muten dem Vorgehen von technischen Betriebsprüfungen nach. Wird die Norm erfüllt? Wenn nein – Fluchtwege markieren und Brandschutztüren austauschen. Die meisten Themen rund um „psychische Belastungen“ berühren aber weitreichende Aspekte der Aufbau- und Ablauforganisation. Die Maßnahmen sind nicht „technische Maßnahmen“ sondern oft weitreichende Organisationsentwicklungsmaßnahmen. Und dieses Bewußtsein besteht meiner Ansicht nach noch nicht.

Wie gesagt: Ich halte es für gut, wichtig und richtig etwas zu tun. Die Praxis der Evaluierung psychischer Belastungen und der Austausch mit Dutzenden Unternehmen zeigen, dass der früheren Nicht-Beachtung des Themas nun eine Überregulierung folgt.

Ausblick

Wie wird sich die Situation in Hinblick auf die Evaluierung psychischer Belastungen entwickeln? Wenn ich einen Blick in die Zukunft wagen darf: Mit der zunehmenden Verbreitung wird mit Sicherheit Kompetenz und Wissen auf Seiten aufgebaut werden. Auf Seiten der Unternehmen und des Arbeitsinspektorates. Die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben wird pragmatischer werden. Die Verunsicherung vieler Unternehmen wird einem zunehmenden Selbstbewusstsein weichen. Die Anbieterlandschaft wird sich weiter verbreitern, aber es werden sich stärkere Qualitätskriterien herausbilden und zwei Lager: freie (Einzel-)Arbeitspsychologen und Institute mit entsprechender Spezialisierung; die Monopolisierung wird zurückgehen. Es werden neue Analyseinstrumente entstehen die weniger akademisch-wissenschaftlich und stärker am betrieblichen Nutzen ausgerichtet sind – Mitarbeiterbefragungen werden dabei stärker als Instrument Nutzung finden. Es wird zu einer Annäherung kommen zwischen Vorgaben des Gesetzgebers und Notwendigkeiten der Arbeitgeber.

Wunschdenken? Ja natürlich! Denn die Evaluierung der psychischen Belastungen darf nicht selber zur „psychischen Belastung“ für Unternehmen werden. Und die Diskussion um „Trennschärfe der Items“ soll nicht überdecken, dass es um Menschen und deren Arbeitsplätze geht.

Belastet durch die „Evaluierung psychischer Belastungen“? Ein kritischer Blick.

Mag. Gerd Beidernikl | Teil unseres fixen Autoren-Teams

Mag. Gerd Beidernikl ist geschäftsführender Gesellschafter von vieconsult, der Vienna Corporate Research and Development GmbH und Lehrvortragender für Organisationssoziologie.

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