Ein Friseurtermin löste einen Shitstorm aus und brachte eine alte Debatte neu ins Rollen. Zeit also, genauer hinzuschauen, jenseits von Klischees und Emotionen: Was spricht für und gegen das Arbeiten von zu Hause, und wie viel Vertrauen braucht es dafür?
Autorin: Katharina Slanar
Shitstorm wegen eines Friseurtermins
In diesem Artikel geht es explizit um Home-Office und keine andere Form von Telearbeit. Erstens, weil ich persönlich nur Erfahrung mit Home-Office habe und zweitens, weil sich der Stein des Anstoßes eben damit beschäftigte. In dem Unternehmen, in dem ich arbeite, ist es möglich – sofern die Position das zulässt – bis zu 2 Tage in der Woche von zu Hause zu arbeiten.
Worum ging es bei dem besagten Shitstorm genau? Ein LinkedIn User postete, er habe im Kalender seiner Mitarbeiterin mitten in der Home-Office Zeit einen Friseur-Termin gefunden und schreibt: „wir müssen endlich aufhören, so zu tun, als wäre Homeoffice jemals eine gute Idee gewesen.“ Ist das denn die Möglichkeit? Ist Home-Office tatsächlich mehr Illusion und Arbeitsverweigerung in netter Verpackung?
Home-Office in Zahlen
Fakt ist: das Hoch der Heimarbeit zu Coronazeiten ist etwas abgeebbt. Laut der „Flexible Working Studie 2024“ von Deloitte durften 2022 in 90 % der Unternehmen mindestens die Hälfte der Mitarbeitenden aus dem Home-Office arbeiten. 2024 stehen wir in Österreich bei 73 %. Gleichzeitig steigt die Erwartung an Home-Office / Remote Working seitens Bewerbenden.
Weiters wurde evaluiert, dass die Skepsis gegenüber Home-Office immer noch groß zu sein scheint. Jeder 10. Geschäftsführende gab an, für die gänzliche Einstellung von Home-Office im eigenen Unternehmen zu sein.

Was für Home-Office spricht
- Mehr Konzentration, mehr Produktivität, weniger Ablenkung: durch weniger Störungen im Büro und besseres Abgrenzen im Home-Office berichten viele Menschen, dass sie produktiver sind. Gerade bei kreativen Aufgaben kann man konzentrierter und effizienter arbeiten.
- Zeitersparnis: durch den Wegfall des Arbeitsweges, kann man länger schlafen, früher zu arbeiten beginnen und damit auch zeitiger aufhören. Man erspart sich Stress und Ärger, weil es statt Stau und Verpassen der U-Bahn direkt nach dem Zuklappen des Laptops Freizeit gibt.
- Individuelle Arbeitsumgebung: seine Sammlung von 100 Katzen Statuen hat man eben nur zu Hause und kann sie nicht in die Arbeit mitnehmen. Der Wohlfühlfaktor in den eigenen 4 Wänden ist logischerweise höher als im Büro.
- Gesundheitliches: Speziell bei Grippewellen oder anderen saisonbedingten Krankheiten gibt es durch die Heimarbeit weniger Ansteckungsgefahr. Man hat mehr Zeit für gesunde Mahlzeiten, die man sich selbst zubereiten kann, anstatt auf Kantine oder Fast Food zurückgreifen zu müssen. In einigen Fällen kann es außerdem weniger krankheitsbedingte Fehltage geben, jedoch gibt es auch Hinweise darauf, dass mehr Menschen im Home-Office fallweise krank arbeiten. Mitarbeitende können außerdem in ihrem eigenen Rhythmus arbeiten – egal ob Frühaufsteher oder Nachteule.
- Recruiting: Wohnort vs. Arbeitsort lassen größere Distanzen zu, durch die Möglichkeit auch von zu Hause zu arbeiten – so vergrößert man automatisch seinen Talente Pool. Höhere Flexibilität bei Arbeitsmöglichkeiten verbessert die Arbeitgebermarke und -attraktivität.
- Höhere Mitarbeiterzufriedenheit: flexible Arbeitsmodelle steigern nicht nur die Motivation und Loyalität, Mitarbeitende erleben mehr Vertrauen und Entscheidungsfreiheit, was wiederum ihre Autonomie erhöht.
- Umweltschutz: durch geringeren Pendelverkehr werden CO2-Emissionen reduziert. Zu Hause hat man nicht jene technische Ausstattung, die man im Büro vorfindet – so steigt man eher auf Digitales und papierlose Arbeitsweisen um und reduziert seinen Papierverbrauch und Müll.
- Soziales: Soziale Spannungen im Büro (z.B. Lärm oder unterschiedliche Arbeitsstile) treten seltener auf. Im zu Hause erlebt man ein „Aufatmen“, weil man für sich allein sein kann. Vertrauliche Gespräche lassen sich außerdem leichter führen. Home-Office fördert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ermöglicht mehr Work-Life-Balance. Zu Hause kann man verfügbar für Post, Service-Unternehmen (z.B. Reparaturen an Wohnung und Haus, Stromzähler ablesen, Schornstein-Pflege, etc.) sein.
- Geringere Kosten bei Unternehmen: durch weniger Bedarf an Büroflächen, Strom, Wasser und Ausstattung entstehen auch weniger Kosten für das Unternehmen (das gilt vermehrt für reine Remote Modelle) – diese Kosten werden aber teilweise auf Privatpersonen umgelegt.
- Förderung inklusiver Arbeitsmodelle: Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen können leichter integriert werden.
Wenn Home-Office zur Herausforderung wird
- Soziales: fehlender sozialer Kontakt kann zu Vereinsamung, Isolation und Entfremdung führen. Gerade bei ausschließlichen Remote-Arbeitsmodellen ist berufliches Networking und eine spontane Zusammenarbeit weniger möglich. Kreative Prozesse leiden oftmals unter dem fehlenden persönlichen Austausch.
Außerdem kann Berufs- und Privatleben verschwimmen. Wann beginnt die Freizeit und wann endet Arbeit? Wenn klare Pausen und Feierabendzeiten fehlen, besteht die Gefahr einer Überarbeitung, da im Home-Office der Computer gerne mal länger läuft.
Ein weiteres Argument gegen Heimarbeit: nicht jeder ist berechtigt von zu Hause zu arbeiten – die Arbeitenden in Produktionen an der Maschine können ihren Job nicht nach Hause mitnehmen. So erhöht sich die Kluft zwischen Arbeitenden und Angestellten und damit verbunden die Ungleichheiten.
- Motivationsprobleme: Ohne Führungskraft und Kollegenschaft fällt es manchen Menschen schwer, sich zur Arbeit zu motivieren und sie lassen sich eher von ihrem heimischen Umfeld ablenken.
- Ablenkung zu Hause: Haushalt, Familie, Haustiere können die Konzentration erheblich beeinflussen. Im Büro fällt es leichter den Wäscheberg auszuklammern, der 25km entfernt liegt.
- Technisches: von fehlenden ergonomischen Büromöbeln bis hin zum Drucker, den zwei großen Bildschirmen und einem schönen Schreibtisch – ich persönlich habe nichts davon in meiner kleinen Wohnung, alles jedoch in meinem Büro stehen. Da nicht alle die gleichen Voraussetzungen zu Hause vorfinden, kann dies Ungleichheit unter den Mitarbeitenden schaffen. Und bei technischen Problemen – wie z.B. meinem eigenen Internet – kann mir unsere IT nicht helfen. Auch ist die Datensicherheit im Eigenheim durch unsichere Netzwerke herabgesetzt.
- Team-Management: in der Deloitte Studie wurde von 50% der befragten Führungskräfte angegeben, dass bereichsübergreifende Kommunikation eingeschränkt ist. Über ein Drittel der Befragten sehen die Zusammenarbeit im Team und Leistungskontrolle durch die Führungskraft reduziert. Das kann auch Misstrauen erzeugen. Auch die Unternehmenskultur lässt sich schwieriger pflegen, da sich gemeinsame Werte und Teamgeist schwer remote vermitteln lassen.
- Kommunikation: der Flurfunk fällt flach, spontane Gespräche und informelle Infos aus dem Büroalltag fehlen. Der Zugang zu Informationen wird schwieriger.
- Eine geringere Sichtbarkeit im Unternehmen kann sich potenziell negativ auf die eigenen Karrierechancen auswirken.
- Höherer Energieverbrauch zu Hause: durch Heizen, Strom und Internet steigen für Mitarbeitende die eigenen monatlichen Betriebskosten.
- Gesundheitliches: durch eine schlechte Trennung von Arbeit und Privatem tendiert man dazu, auch krank im Home-Office den Computer aufzudrehen.
Was wirklich zählt: Vertrauen und Wertschätzung
In den letzten Jahren war den meisten Branchen eines gemein – der Kampf um Fachkräfte. Es wurde mit Benefits um sich geworfen, sich der Kopf zerbrochen, wie man die besten Mitarbeitenden halten, gleichzeitig die optimalen Bewerbenden bekommen kann.
Am Ende des Tages bleibe ich persönlich aber nicht in einem Unternehmen wegen der Prozente bei Online Shopping-Seiten oder den Kooperationen mit Fitnesseinrichtungen. Ich bleibe, weil mir ehrliche Wertschätzung und Vertrauen entgegengebracht wird und, weil eine Work-Life-Balance unterstützt wird, unter anderem durch Home-Office und flexible Arbeitszeiten. Zwei Tage in der Woche erspare ich mir den Stau auf der Südosttangente Wien, kann direkt vom Pyjama in die Jogginghose schlüpfen und – ohne geschminkt zu sein – mit der Arbeit beginnen. Ich kann nach getaner Arbeit umgehend in die Sportsachen wechseln, laufen gehen und verliere nicht bis zu 4 Stunden Zeit im Auto, bevor meine Freizeit überhaupt begonnen hat.
Flexibilität ist keine Einbahnstraße
Bei aller Freude am flexiblen Arbeiten, arbeitsrechtliche Vorgaben und Firmenregularien müssen eingehalten werden. Home-Office ist kein Freifahrtschein, um Betrug am Arbeitgebenden zu begehen und beispielsweise Zeiten zu eigenen Gunsten zu manipulieren oder Freizeitaktivitäten in der Arbeitszeit zu erledigen.
Gleichzeitig: wenn alle Regeln eingehalten und keine Vorgaben verletzt werden, was spricht dagegen, von 8 – 10 Uhr einen Friseurtermin (natürlich dezidiert außerhalb der bezahlten Arbeitszeit) zu haben? Ganz egal ob an Home Office- oder Büro-Tagen. Wenn am Ende des Tages das Ergebnis meiner Arbeit stimmt, ich meine Projekte ordnungsgemäß abschließe und ich auf meine geforderten Zeiten komme, wen interessiert es, wann genau ich vor dem Laptop gesessen bin, um das zu erreichen? Sollte ich unmotivierte Mitarbeitende haben, deren Performance für das Unternehmen nicht passt, dann werde ich dieses an vielem festmachen können aber nicht ausschließlich an seiner Anwesenheit im Büro. Denn wie es so schön wienerisch heißt, „owezahn“ kann ich an jedem Ort.
Flexibilität geht immerhin nicht nur zu meinen Gunsten. Ich kann später starten, weil ich einen Zahnarzt Termin habe oder gehe früher, weil ich meine Eltern besuchen will. Ich bleibe aber auch länger, wenn es notwendig ist und gehe die extra Meile für meinen Job. Ich poche nicht auf meinen 2 Tagen Home-Office in der Woche, wenn es die Arbeit gerade nicht zulässt, verteufle und nutze das Unternehmen nicht aus. Denn Vertrauen ist keine Einbahnstraße und Flexibilität ist ein Privileg, kein Recht.
Fazit
Ich komme zu folgendem Schluss: im Leben muss es – wie bei so vielem – eine Balance geben. Möchte ich 5 Arbeitstage zu Hause in Jogging Hose verbringen? Nein, denn ich liebe es mich für die Arbeit anzuziehen und zurecht zu machen. Genauso gerne unterhalte ich mich mit den Menschen in der Arbeit persönlich, gehe in die Kantine essen und sitze in meinem geliebten Büro vor meinen zwei großen Bildschirmen mit allen technischen Möglichkeiten. Und manchmal ist es auf der Tangente gar nicht so schlimm, denn da kann ich telefonisch Zeit mit meinen Liebsten verbringen oder dreistimmig Karaoke im Auto singen: laut, falsch und mit voller Begeisterung.
* Als Frau mit Doppelstaatsbürgerschaft Schweiz/Österreich, schon immer in Wien lebend mit 2x in der Woche Anspruch auf Home Office, bediene ich mich jetzt einfach an den Vorurteilen, die mich selbst betreffen.
Vom Pyjama zur Produktivität | Der Balanceakt Home-Office
Quellen
Deloitte: Flexible Working Studie 2024