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Veränderungs-Kraft von Mitarbeitenden in Change-Projekten

05Jun2023
7 min
Fachkräftemangel, Personalentwicklung

HR-Know-how aus der Praxis für die Praxis

Inhalt

Wenn sich der Status Quo ständig ändert (wie permanent in den letzten Jahren), kommt man mit „weil wir’s immer so gemacht haben“ nicht weit. Die erfolgreiche Umsetzung von Change-Projekten hängt entscheidend von den beteiligten Personen ab. Am sinnvollsten scheint, die Kompetenz zu entwickeln, für Lösungswege offen zu sein. In wie fern ist diese ausgeprägt?

Im heutigen Experten-Interview hinterfrage ich, wie es Mitarbeitenden in Change-Zeiten geht hinsichtlich

  • Veränderungskraft und Veränderungswilligkeit
  • Produktivität
  • Boykott-Neigung (Change ist mitunter nicht gern gesehen. Abhängig von der Unternehmens-Kultur ist der Änderungswille mal größer mal kleiner. Was tun, wenn der Änderungswille bei manchen Mitarbeitenden zu klein ist, sodass die Projekte boykottiert werden?)

Experten-Interview

Fachkräftemangel, Personalentwicklung

Links der HR-Branche Personal-Entwicklung

Welchen Eindruck haben Sie bezüglich der Veränderungskraft und -willigkeit von Mitarbeitenden?

Christine Schönowitz (Group Austria): Das Vertraute ist uns Lieber (berechenbarer) ohne Sicherheit und Vertrauen wird es schwierig.

Marilena Maris, MSc, BA (MDI Management Development): „Weil wir’s immer so gemacht haben“ ist mir tatsächlich in der Praxis noch nicht untergekommen und ich begleite Veränderungsthemen ziemlich lange. Vielleicht habe ich die coolsten Aufträge und Mitwirkenden erwischt oder vielleicht sollen wir endlich davon ausgehen, dass die meisten Menschen Change per se nicht ablehnen und es gut mit sich und mit der Welt meinen.
Was mir in vielen Change Situationen fehlt, ist eine pragmatische Haltung und Auseinandersetzung mit realen Herausforderungen. Aktuell erlebe ich oft eine kollektive „Change Müdigkeit“, weil sich unser Status Quo echt rasch und unvorhersehbar ändert. Dazu kommen Themen, die wir allzu gut kennen: ambitionierte / beinahe unmögliche Ziele und Deadlines, zu dicht verplante Terminkalender, knappe Ressourcen. In diesem Kontext kommt es im Alltag oft sehr weltfremd vor „einfach so“ zu erwarten, dass sich alle mit voller Begeisterung aufs nächste Change Projekt einlassen. Manche müssen vorab die Überforderung verarbeiten und schauen, wie sie diese Themen überhaupt unterbringen sollen.

Mag. Tanja Knob (ICF Austria): Mein allzu menschliches Lieblingsbeispiel hierzu: Es gibt 2 wichtige Gründe, vom Sofa aufzustehen: entweder es gibt etwas Gutes im Kühlschrank oder ich habe Schmerzen vom Sitzen.
Ich möchte damit aussagen, dass Veränderungskraft und -wille immer abhängig sind von dem mit dem Change-Projekt verbundenen Anlass und Ziel. Denn damit steht und fällt die Motivation, Wandel nicht nur zuzulassen, sondern auch proaktiv zu unterstützen. Dabei ist allgemeingültig, dass der Veränderungsdruck bzw. die Notwendigkeit zur Veränderung die Bereitschaft auf Seiten der Mitarbeitenden entscheidend ist – vorausgesetzt, dass dieser entsprechend kommuniziert und bekannt ist. Damit die Motivation durch alle Phasen des Change-Projekts aufrecht bleibt, bedarf es einer guten Change-Story und Kommunikationsmaßnahmen sowie eines gezielten Emotionsmanagements durch die Führungskoalition und -kräfte. Denn Change löst in der Regel bei Mitarbeitenden zunächst einmal Eines aus: bewusste und / oder unbewusste Ängste und Gefühle.

Corinna Ladinig, MBA (CTC Academy): Die Veränderungskraft bzw. -willigkeit hängt sehr davon ab, in welchem Unternehmen jemand beschäftigt ist. Wenn die Veränderung bereits Teil der Kultur ist, dann gelingt sie meist gut. Wenn die Unternehmenskultur noch sehr träge ist, dann versuchen Mitarbeitende zu Beginn beharrlich den Status quo zu verteidigen. Es braucht dann zur Veränderung einen längeren Atem und eine gut durchdachte Vorgangsweise. Veränderung macht unsicher und daher spielen die Führungskräfte dabei eine wesentliche Rolle. Sie können als Person jene Sicherheit bieten, die Mitarbeitende brauchen, um die Veränderung mitzumachen.

Welche Erfahrungen haben Sie bezüglich der Produktivität von Mitarbeitenden in Change Projekten gemacht?

Veronika Aumaier MAS, MSc (Aumaier Consulting Training): Die Produktivität in Change Projekten leidet stark, wenn die Mitarbeitenden nicht ausreichend abgeholt und in die Mitgestaltung der Veränderungserfordernisse eingebunden werden. Mitarbeitende sind leider selten freiwillig und pro-aktiv an Veränderungen interessiert, außer sie haben sie sich selbst erdacht und bereiten in Folge individuelle Erleichterung oder Vorteile. Je nach Persönlichkeit reagiert man auf Veränderungen von außen, die uns vor vollendete Tatsachen stellen, unterschiedlich: manche streben nach Stabilität, weil es ihnen vermeintlich Sicherheit gibt, andere bevorzugen Bequemlichkeit und verlassen ungern ihre Komfortzone. Wieder andere habe so viel zu tun, dass Sie nur durch den Gedanken an Veränderungen schon in Stress geraten, weil dass ihre gut eingespielte Routine stört.

Christina Hackl (KICK OFF): Die Produktivität der Mitarbeitenden ist zu gewissen Zeitpunkten des Prozesses durch Unsicherheit, Zukunftssorgen, Verwirrung und Chaos getrübt. Es ist normal, dass sich Menschen mit den Veränderungen und neuen Zielen erst nach und nach anfreunden müssen. Es ist unangenehm, Gewohntes loszulassen und sich auf Neues einzustellen. Das Neue ist meist unklar und die Mitarbeitenden haben Sorge, ob und inwiefern sie den neuen Anforderungen gewachsen sind. Meist braucht es für die neue Tätigkeit auch neue Prozesse bzw. auch Skills. Solange es hier noch keine neuen Routinen gibt, ist die Produktivität nicht am gewünschten neuen Level.

Dr. Judith Girschik (LSS Leadership Services): Das ist in erster Linie eine Frage der individuellen Tendenzen der beteiligten Persönlichkeiten. Wo Menschen sich von Natur aus gerne in gewohnten Bahnen bewegen und ihre ausgetretenen Pfade nicht verlassen wollen, entsteht – vor allem bei unzureichend vorbereitenden Projekten – Veränderungswiderstand.  Das ist eine zutiefst menschliche Neigung, die etwa die Hälfte der österreichischen Bevölkerung teilt. 
Finden sich in einem Team mehrheitlich innovationsgetriebene, erkenntnisinteressierte, abstraktionsorientierte Persönlichkeiten, können anstehende Veränderungen zu ungezügelter Begeisterung und zu Kreativitätsausbrüchen führen.
In beiden Szenarien wirkt klare, zeitnahe Kommunikation als motivierend stabilisierender Faktor. Gelungene Kommunikation räumt Bedenken aus und bietet den Beteiligten Orientierung und Sicherheit.

Weshalb macht es manchmal den Anschein, dass Change-Projekte regelrecht blockiert werden?

Marilena Maris, MSc, BA (MDI Management Development): Es macht nicht nur den Anschein, manchmal ist es tatsächlich so. Es gibt einige Gründe, manche sogar in Kombination:

  • weil Mitwirkende das „Warum“ und „Wozu“ der Veränderung nicht verstehen, somit die emotionale Akzeptanz für die Veränderung gar nicht entwickeln können, geschweige denn das unterstützende Mindset
  • weil das Endziel und die Erfolgskriterien nicht klar sind
  • weil die „Machbarkeit“, das „wie“ fehlt
  • weil das Miteinander komplett fehlt und die Silos dann aktiv werden

Mag. Tanja Knob (ICF Austria): Ängste führen zu Widerständen – und somit meist zu (un-)bewussten Blockaden. Dabei sind Widerstände nicht immer nur als negativ einzuordnen. Auch in Widerständen verbergen sich wertvolle Schätze: So können dadurch Organisationen beispielsweise vor Überforderung und unsinnigen oder schädlichen Veränderungen bewahrt werden. Denn nicht jedes Change-Projekt verfolgt zwingend sinnvolle Ziele.

Wo sehen Sie mögliche Strategien, um dem entgegen zu wirken? 

Dr. Judith Girschik (LSS Leadership Services): Menschen brauchen die Möglichkeit, Ziel und Sinn anstehender Veränderungen zu verstehen. Wenn sie nicht erfassen, wofür neue Zuständigkeiten und Prozesse gut sind, entwickeln sie einen Widerstand gegen die kommenden Maßnahmen. Hier helfen gründliche Projektvorbereitung und rasche transparente Kommunikation durch Top Management oder Eigentümer.

Corinna Ladinig, MBA (CTC Academy): Bei der Planung von Change-Projekten ist es sinnvoll alle Perspektiven mit einzubeziehen und gründlich zu erforschen. Ungeduld ist ein schlechter Ratgeber. Ebenso braucht es die Einbeziehung von Key-Playern auf allen Unternehmensebenen, die den Change unterstützen. Hilfreich könnten auch Soundingboards mit einer Auswahl an Mitarbeitenden aus der gesamten Organisation sein, die rückspiegeln, wie der Change aufgenommen wird und wo man nachjustieren muss.
Mein Tipp: auch unkonventionelle Methoden wie z.B. Aufstellungsarbeit bei der Planung einzusetzen, das hilft Übersehenes sichtbar zu machen und eventuell den Plan zu verändern.

Christine Schönowitz (Group Austria): Rechtzeitig kommunizieren (ist unheimlich schwierig: nicht zu früh aber keinesfalls zu spät)

Veronika Aumaier MAS, MSc (Aumaier Consulting Training): In jedem Fall den emotionalen Widerstand zulassen und Zeit und Raum geben. Eine Faustregel könnte lauten: gib den Betroffenen so viel Zeit sich mit der Veränderung auseinanderzusetzen, wie Du als Ideenbringer selbst hattest – vorm ersten Gedanken bis zur Entscheidung und Freigabe! Das ist zeitlich unmöglich? Ok, dann mindestens die Hälfte dieses Zeitraumes! In jedem Fall brauchen Betroffene Zeit, Bedenken zu äußern und ungehalten über die Veränderung zu sein, da sie in ihren Gewohnheiten gestört werden, ohne dass sie sich das gewünscht haben.

Christina Hackl (KICK OFF): „Die Betroffenen zu Beteiligten machen“ – das ist das Ziel. Die Ängste der Mitarbeitenden ernst nehmen, Möglichkeiten schaffen, dass diese Unsicherheiten direkt angesprochen werden können und die Sinnhaftigkeit der geplanten Veränderungen deutlich machen – das sind wichtige Aufgaben im Change Prozess. Offene und klare Kommunikation spielt hier eine sehr große Rolle. Es geht einerseits um die rationale Einsicht, die durch entsprechende Kommunikation und Purpose-Diskussion herbeigeführt wird und in Folge auch um die emotionale Einsicht. Dazu ist es notwendig, die Emotionen ebenfalls zuzulassen und den Personen die Möglichkeit zu geben, sich in ihrem individuellen Tempo von den alten Gegebenheiten zu verabschieden. Erst wenn diese Möglichkeit geschaffen wird und die Mitarbeitenden auch emotional annehmen können, dass „es ist, wie es ist“ und dass „es gut ist“, kann das Neue stattfinden und wird dann von den Beteiligten gut mitgetragen.

Veränderungs-Kraft von Mitarbeitenden in Change-Projekten

Die Interview-Partner

Marilena Maris, MSc, BA

Marilena Maris

Mag. Tanja Knob

Tanja Knob

Christine Schönowitz

Schönowitz, Group Austria

Corinna Ladinig, MBA

Corinna Ladinig, CTC

Dr. Judith Girschik

Judith Girschik, LSS

Christina Hackl

Christina Hackl, KickOff

Veronika Aumaier MAS, MSc

Veronika Aumaier

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